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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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zusammen: dieses abweisende, düstere Gehöft, der geifernde Hund und die Gleichgültigkeit der Bäuerin. Ich kann mir nicht helfen, aber etwas Böses wohnt dem ganzen inne. Nichts wie weg von hier.
    Noch eine ganze Weile rege ich mich furchtbar auf, bis pulsierende Schmerzen in meiner rechten Ferse mich ablenken. Die alte Wunde meldet sich wieder. Die Hitze der vergangenen Tage, die harten Wirtschaftswege, das ebene Land, welches einem den immer gleichen Gang abverlangt, fordern ihren Tribut. Ich humpele leicht, versuche irgendwie meinen Tritt zu verlagern. Ich will ja weiter, und eigentlich reicht es mit den Blessuren. Bis zu unserer letzten Auszeit in Landsberg am Lech sind es noch drei Tage. Also wieder mal die Zähne zusammenbeißen und nicht dran denken.
    Vier Stunde laufen wir durch. Der ersehnte Regen ist ausgeblieben, aber die Hitze ist nicht zurückgekehrt. Dafür danke ich meinem Schöpfer!
    In einer Waldgaststätte machen wir endlich eine Pause. Meine Ferse pocht, ich muss was tun: Stiefel ausziehen, Socken runter, Nagelschere zur Hand und mit der Spitze in die Hornhaut stechen, dort, wo ein rotblauer Flecken sich abbildet. Inzwischen weiß ich ja, wie es geht. Tiefer und tiefer und dann die Schere nach oben führen, bis die Spitze wieder die Haut durchstößt. Dann drücken, bis der Schmerz die Haarwurzeln erreicht.
    Gelblichweißer, dickflüssiger Eiter und etwas Sekret treten aus. Der Druck lässt nach, ich atme tief durch, stütze meinen Fuß auf einem Stuhl ab. Martin ist bester Dinge, unterhält sich derweil munter mit ein paar jungen Geschäftsleuten, die picobello gekleidet zwei Tische weiter sitzen. Der Mann hat eine bewundernswerte Konstitution.
    Ich belohne mich mit einer lauwarmen Leberknödelsuppe. Ich hätte auch Fädle- oder Grießsuppe wählen können, doch die habe ich noch weniger in guter Erinnerung. In mich gekehrt löffele ich die Suppe aus, bin in Gedanken bei meinem Fuß. Noch ist der Tag nicht zu Ende.
    Wir stapfen weiter, ich humpelnd hinter meinem munter ausschreitenden Wanderbruder her. Dörfer gleiten an uns vorbei, durch manche wandern wir hindurch. Hier im Speckgürtel von Augsburg ist alles korrekt, sauber und nach Katalog angelegt. Häuser auf kleinen Parzellen, nicht bayrisch, nicht thüringisch, neudeutsch eben – Siedlungen, wie sie überall zu finden sind, in einer Landschaft, die mich maßlos enttäuscht: plattes Ackerland, durchzogen von Fichtenwäldern und unterbrochen von gesichtslosen Schlafdörfern nahe der Großstadt Augsburg. Jetzt wird’s aber mal Zeit, dass sich Bayern so zeigt, wie sein Image in aller Welt ist: wunderbare, alte Häuser mit dicken Wänden, ausladenden Dächern und den Balkonkästen voller üppig blühender Geranien; grüne Wiesen mit zufriedenen Kühen, urige Biergärten und Menschen in Lederhosen und Dirndlkleidern. Nichts davon ist zu sehen.
    Deutschland wird sich immer ähnlicher. Das gilt für diese Neubaublasen, für die Supermarktzentren am Rand der Städte, für die großen Ackerschläge, das Wirtshaussterben, die vielen Fichtenwälder, Autobahnen, Schienennetze. Manche Landstriche wirken wie kopiert.
    Aber Deutschland findet auch drinnen statt, ich habe das bereits einmal erwähnt. Diese Verlassenheit in den Orten, egal ob Montag morgens, Freitag nachmittags oder feiertags und auch bei gutem Wetter, es spielt keine Rolle. Manchmal haben wir vor einer Ortschaft gewettet, wie vielen Menschen wir wohl begegnen würden. Die Zahlen, die wir nannten, konnte man an den Fingern einer Hand abzählen, und die kleinere war oft näher dran. Sogar auf den Weiden fehlen die Kühe.
    Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Männer und meist auch die Frauen sind zur Arbeit. Die ohnehin nicht reichlich vorhandenen Kinder sind im Kindergarten oder in der Schule und die alten Menschen in den unzähligen Altersheimen, oder sie trauen sich nicht mehr auf die Straße, ja und die Kühe befinden sich in umzäunten Ställen, weil diese Art von Viehbewirtschaftung effektiver ist. Das Futter wird zur Kuh gebracht und nicht mehr umgekehrt. Gab es nicht mal eine Werbung mit Milch von glücklichen Kühen, die auf einer Weide standen? Muss wohl eine Weile her sein. Heute gibt es glückliches Gras für traurige Kühe.
    Bayern ist viel größer, als ich es mir vorgestellt habe und viel prosaischer, als der Norddeutsche es sich ausmalt. Bin gespannt, wann wir den ersten Ureinwohnern und ihren typischen Hütten begegnen und dort auf einer Bierbank unter einer Linde

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