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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Nachttischlampe, ein winziges Waschbecken, eine im Zimmer an der Wand errichtete enge Duschkabine und die Toilette auf dem Flur.
    Ich fühle mich nicht wohl. Das Zimmer ist viel zu groß und schlecht beleuchtet. Alles wirkt so morbide und leblos wie in einem Geisterhaus. Ich dusche schnell, ziehe mich um und warte vor dem Hauseingang auf meinen Wanderbruder, denn hier können wir nicht zu Abend essen.
    Im Ort gibt es ebenfalls keine Gastronomie, also bestellen wir ein Taxi und fahren nach Diedorf, an den Stadtrand von Augsburg, in eine Pizzeria. Die Umgebung, das Ambiente, überhaupt alles ist so ungewohnt nach den vielen Wochen meist in der Natur, in den Dörfern und kleinen Städtchen, dass ich mich hier fremd fühle. Zwei Bier, eine Pizza und ab nach Hause in die dunkle Villa.
    Der Taxifahrer erzählt uns kenntnisreich von Augsburgs Westlichen Wäldern: Buchen und Eichen seien dort früher die dominierenden Bäume gewesen. Die Fichte jedoch wachse schnell und bringe der Forstwirtschaft hohe Renditen, und somit beherrsche sie heute auch Bayerns Wälder. 50 Prozent der Waldfläche in Bayern bestünden inzwischen aus ihr. Darüber hinaus gehöre ein großer Teil des Waldes bei Augsburg immer noch den Fuggern, genauer der Fuggerschen Stiftung, und die finanziere u. a. mit den Erlösen der Holzwirtschaft die Fuggerei in Augsburg, die älteste Sozialsiedlung der Welt. Die Fugger wuchsen ja hier im ausgehenden 15. Jahrhundert zu einer Welthandelsmacht heran, und deren Interesse war und bleibe der Handel. Auch mit Holz.
    In der Villa ist es totenstill. Ich liege im Bett und lausche. Ab und zu vernehme ich ein Knacken, darauf ein kurzes Rascheln, und dann ist es wieder ruhig. Dunkelheit breitet sich im Raum aus, macht ihn riesig und unkontrollierbar. Mit gemischten Gefühlen beäuge ich meine Umgebung, die aus Umrissen alter Möbel, schwarzen Schatten und dem Dunkel der Nacht besteht. Mir ist mulmig zumute. Gott sei Dank gibt es kein Gewitter. Ich glaub’, ich läge mit meinem Messer bewaffnet im Bett und hätte Schiss vor dem Gamaschenmann.
    Kennt ihr das nicht, dieses bange Gefühl, abends in einem schummrigen und verwinkelten Keller, wenn man noch ein paar Flaschen Bier für den Besuch holen will? Man hat die Treppe nach oben nicht mehr im Auge, wühlt in einer Kiste herum und denkt, dass aus dem schwarzen Rechteck, welches den Durchgang zum nächsten Raum bildet, gleich das Böse auftaucht könnte, was immer es auch sei. Du äugst furchtsam um dich, unterdrückst eine aufkommende Panik, bis du es nicht mehr aushältst, greifst schnell eine Hand voll Flaschen und eilst zur Treppe. Der Gedanke an das Böse beherrscht dich und treibt dich vorwärts, immer schneller und hektischer, du wirfst keinen Blick mehr zurück. Am Ende wähnst du das Böse tatsächlich hinter dir. Mit kaum zu bändigender Panik nimmst du die letzten Stufen, spürst schon den eisigen Hauch im Nacken, und im letzten Moment schlägst du mit unsäglicher Erleichterung die Kellertür zu und bist wieder in dieser Welt.

    Die Gedanken wirbeln mir durch den Kopf. Am Ende siegt die Erschöpfung, und der Schlaf erlöst mich. Es war kein guter Tag.

R EGEN
    MITTWOCH, 4. JUNI
OGGENHOF – SCHWABMÜNCHEN (SÜDL. AUGSBURG), 34 KM
    Hurra, ich habe durchgeschlafen. Keine bösen Träume, keine Geister, bin ausgeruht und ausgeschlafen, im Gegensatz zu meinem Freund, dem seine weiche Matratze mächtig zu schaffen gemacht hat.
    Das Frühstück nehmen wir in einem gediegenen, lichtdurchfluteten Raum ein, das genaue Gegenteil von dem, was ich bisher von dem Haus kennengelernt habe. Es ist mit Abstand die prunkvollste Stätte, an der ich je gefrühstückt habe. Glänzender Parkettfußboden, darauf persische Läufer, gepolsterte Stuhlsessel, Kronleuchter, hohe Fenster mit edlen Samtvorhängen, ein gemauerter, vom Boden an geschwungener Bogen als optischer Raumteiler. Unsere Gastgeber sind alt, freundlich und, vor allem er, unglaublich mitteilsam. Sie beklagt den Niedergang der Pension, das Wegbleiben der Gäste, vergisst dabei aber, dass die Zimmerausstattung von vorgestern ist, und er bläst sich richtig auf, nachdem er erfahren hat, welch weiten Weg wir bislang gelaufen sind.
    Von hier nach Brixen, das ist in den Südalpen, sei er in sieben Tagen gelaufen, jeden Tag 40 bis 50 Kilometer, über den Brenner, die ganze Autostraße hoch und wieder runter und immer in guten Hotels geschlafen. Ich schaue ihn ungläubig an. 50 Kilometer am Tag zu Fuß in den Alpen und dann noch

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