Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
sein Handy hervor, eine SMS hat ihn erreicht. Dann bleibt er stehen, um zu antworten. Während der ganzen Tour ist er ständig damit beschäftigt, irgendjemanden per SMS zu grüßen und ihm mitzuteilen, wo wir gerade sind. Mich nervt das, weil wir immer anhalten müssen, aber ich fotografiere auch viel und unterbreche damit ebenso unseren Wanderrhythmus. Also lasse ich das Lästern. Außer mit meiner Frau und ab und zu mit den Kindern habe ich mit niemandem Kontakt. Nur wenn mir danach ist, meist am Abend, rufe ich an, und das auch nicht jeden Tag. Es soll etwas Besonderes bleiben. Ich will diesen Weg für mich gehen. Das Schreiben von SMSNachrichten ist mir darüber hinaus viel zu unpersönlich, und wenn mir meine Frau dreimal am Tag simst, dass sie mich liebt, dann ist eh was faul.
Wir haben genug von der Pflastertreterei und weichen auf einen Feldweg aus, auch wenn das einen Umweg bedeutet. Äcker und Wiesen bestimmen das Landschaftsbild. Die Gegend ist so flach wie die Wesermarsch in der Nähe der Nordseeküste. Über Amberg stehen dunkle Wolken, und als sie uns erreichen, öffnen sich die Schleusen. Wie gestern stapfen wir unter unseren Pelerinen im Regen durch die Feldmark, nur nicht mit der gleichen Begeisterung.
Nebel wabert über die Ebene – es herrscht eine Stimmung wie im Herbst.
Nass und missmutig laufen wir in Buchloe ein. Der Regen hat die Straßen leergefegt, der Asphalt glänzt vor Nässe, Wolken umhüllen die Kirchturmspitze und berühren die Dachfirste der höchsten Häuser. Die bayerische Hochebene liegt doch näher am Himmel als unsere norddeutsche Tiefebene.
Wir finden einen Gasthof, der nicht komfortabel, aber preiswert ist. In meinem Zimmer gibt es keine Toilette, geschweige denn eine Dusche. Wenigstens ein kleines Waschbecken ist vorhanden, aber das hängt so hoch, dass ich auf einen Stuhl muss, falls ich des Nachts pinkeln muss. Was soll man machen, es sind die einzigen freien Zimmer. Ich dusche bei meinem Wanderbruder und bestelle mir anschließend im Gastraum Sauerbraten mit Kartoffelknödeln und Butterbohnen und natürlich ein Bier, dann ein zweites und zum Abschluss ein drittes. Heute Nacht werde ich auf den Stuhl müssen; über den Flur und die halbe Treppe hinunter zur Toilette gehe ich auf keinen Fall.
Der Regen rauscht in der Kastanie, die auf dem Hof vor meinem Fenster steht. Aus einem Leck in der Dachrinne tropft es auf den Fenstersims, und ab und an dringt das Geräusch eines fahrenden Autos von der nassen Fahrbahn hinauf in mein Zimmer.
Ist das Wetter nicht gut, die Landschaft beliebig, trifft man unterwegs niemanden und ist man auch noch am Abend unter sich, dann wird es hart, wenn es über mehrere Tage so geht und die Tour schon so lange dauert. Dann fühlt man sich fremd und ausgedörrt, und das Feuer in einem ist am Verglimmen.
Morgen geht es nach Landsberg. Wir wollen dort einen freien Tag verbringen. Vielleicht möbelt mich die Stadt am Lech wieder auf. Es bleibt zu hoffen, dass dann das Finale, das Wandern im Alpenvorland zu einem grandiosen Schlusserlebnis wird.
D REI G ESCHICHTEN ÜBER DEN
D ÄCHERN VON L ANDSBERG
FREITAG, 6. JUNI
BUCHLOE – LANDSBERG AM LECH, 17 KM
In der Nacht wäre ich fast verunglückt. Die Biere haben mich nicht durchschlafen lassen, und ich musste pinkeln. Schlaftrunken suchte ich mir im Dunkeln den Weg zum Waschbecken, bestieg den Stuhl und verlor dabei das Gleichgewicht. Im letzten Moment konnte ich mich mit beiden Händen an der Wand über dem Waschbecken abstützen, befand mich aber jetzt in solch einer Schräglage, dass jede Bemühung, sich aufzurichten, dazu führte, dass der Stuhl weiter nach hinten gedrückt wurde. Ich hatte keine Chance, machte mich lang und länger, indem ich mit den Händen die Wand abwärts stieg. Ich musste dabei dem Spiegel ausweichen und hing jetzt mit gespreizten Armen fast horizontal in der Luft. Der Stuhl bekam immer mehr Fahrt. Im letzten Augenblick riss ich ein Bein hoch und konnte es auf den Boden bekommen, nicht ohne dabei mit der Brust kräftig gegen die Waschbeckenkante zu schlagen. Aber ich stand. Nun war ich hellwach, knipste das Licht an, fühlte, ob noch alle Rippen ganz sind, und stellte mich wieder auf den Stuhl. Gott sei Dank war nichts weiter passiert.
Man stelle sich mal vor, man hätte mich am Morgen splitternackt vor dem Waschbecken liegend gefunden. Ob jemand erraten hätte, wie es zu dem Unfall kam?
Heute liegen nicht viele Kilometer vor uns. Es wird ein Spaziergang werden,
Weitere Kostenlose Bücher