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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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bläht sie auf wie Segel. Es gießt, und die Böen schütteln uns wie kleine, unförmige Boote auf hoher See. Das Wasser läuft in die Stiefel. Wir müssen stoppen und die Regenhosen anziehen. Martin legt wieder seine Gamaschen an.
    Das Wetter wird zu einer Herausforderung, aber es weckt unsere Abenteuerlust. Endlich ist was los. Wir haben den Weg am Fluss verlassen und bewegen uns auf freier Plane. Ungehindert treffen uns Sturm und Gischt, und wir trotzen der steifen Brise und den Wassermassen. Eine kindliche Freude hat mich erfasst. Wahrscheinlich sind wir weit und breit die Einzigen, die sich hier durch die Äcker kämpfen, zwei Abenteurer, die den Unbilden der Witterung trotzen. Hach, was macht das Spaß, und wie willkommen ist mir diese Abwechslung. Das Wetter kann uns nichts anhaben. Wir bleiben trocken, auch die Schuhe bestehen ihre Bewährungsprobe, nur unsere Gesichter glänzen vor Nässe. Als wir nach zwei Stunden in Schwabmünchen einlaufen, ist es Abend, und der Regen lässt nach.
    Klitschnass stehen wir in einem Hotel vor dem Empfangstresen und bitten um zwei Zimmer. Ohne mit der Wimper zu zucken, gewährt man uns Unterkunft, allerdings für 48 Euro pro Person. Martin und ich schauen uns fragend an und schütteln beide den Kopf.
    „Gibt’s denn nichts Preiswerteres hier im Ort?“, frage ich.
    „Doch, unten an der Hauptstraße, fünf Minuten von hier, gibt es noch einen Gasthof. Da ist es sicher billiger“, antwortet das junge Mädel.
    „Na, denn wollen wir mal los. Vielleicht kommen wir ja wieder zurück.“
    Fünf Minuten vergehen, nach zehn Minuten immer noch kein Gasthof. Meine Güte, ist die hier noch nie entlanggelaufen? Fast eine Viertelstunde brauchen wir, dann stehen wir vor einem alten Wirtshaus. Der Putz bröckelt von der Fassade, einige Fensterläden hängen schief in den Angeln, und im Parterre fehlt an einem Fenster die Gardine, die Scheiben sind blind.
    „Na, was das wohl wird!?“, denke ich.
    Die hölzerne Eingangstür ist unten zum Teil verrottet. Eine ausgefranste Matte, verdreckt und sandig, liegt in einem Abtritt davor. Wir betreten die schummrige Vorhalle, es stinkt nach Urin und kaltem Zigarettenrauch, auf dem ausgetretenen Steinfußboden Flusen und welkes Laub. Aus jeder Ritze des Gemäuers dringt ein modriger, kühler Hauch und beherrscht die finstere Halle. Man meint, in einer Gruft zu stehen.
    „Hallo?“, rufe ich halbherzig.
    Aus einem Zimmer links vom Eingang tritt ein Mann. Er verharrt in dem schmalen Lichtstreifen, der durch die halbgeöffnete Tür fällt, so dass wir, vom Licht geblendet, nur seine Silhouette wahrnehmen: einen dunklen, regungslosen Schatten. Wie ein Gespenst, so steht er da. Dann tritt er aus dem Licht auf uns zu. Wir weichen instinktiv einen Schritt zurück und mustern ihn. Er hat seine besten Tage lange hinter sich, hat irgendwie Schritt gehalten mit dem Niedergang des Wirtshauses. Fragt sich nur, wer wessen Verfall verursacht hat.
    „Und?“, fragt er.
    „Ähm… haben Sie ein Zimmer frei?“
    Eigentlich wollte ich das gar nicht mehr fragen, aber mir fällt nichts anderes ein. Er tritt noch näher.
    „Ich vermiete schon lange nicht mehr. Lohnt sich nicht.“
    Ein schiefes Grinsen überzieht sein Gesicht und gibt die schwarzgelben Zähne preis, die wie alte, vergilbte Klaviertasten zwischen den spröden, rissigen Lippen stehen.
    „Macht nichts, macht gar nichts, vielen Dank!“, erwidert Martin, sich sichtlich unwohl fühlend.
    Es ist unheimlich hier drinnen. Fluchtartig verlassen wir die Höhle.
    Oh Schreck, oh Not, was war das bloß! Gott sei Dank hat der uns kein Zimmer angeboten. Das hätten wir uns dann auch noch anschauen müssen. Geblieben wär’ ich nie und nimmer!
    Wir walzen wieder zurück und wundern uns, dass man uns hierher geschickt hat. Inzwischen ist es acht Uhr, und der Tag muss jetzt ein Ende haben.
    Wieder im Hotel, checken wir ein. Ich lamentiere ein wenig über den überflüssigen Weg und will einen Bonus herausschlagen, aber die lassen nicht mit sich handeln. Ich geb’s auf, und wir beziehen unsere Zimmer. Die heiße Dusche ist eine Wohltat. Mindestens zehn Minuten stehe ich darunter, der Preis muss sich lohnen.
    Das erste Bier trinken wir im Freien, drinnen darf man ja nicht rauchen. Eine Azubi bedient uns freundlich, lacht viel und versüßt uns mit ihrem hübschen Gesicht den öden Tag – allerdings, die Regenwanderung war ein Highlight!
    Im Bett betrachte ich die fünf Fotos, die ich heute geschossen habe, drücke

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