Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
die Blicke und die Weite aus der Vogelperspektive. Ein Mischwald nimmt uns auf, lässt das ebene Land verschwinden und führt uns auf einem schmalen Pfad den Hügel hinauf. Wir besteigen den Oberen Riedberg, eine Erhebung, die zu einer Hügelkette wenige Kilometer westlich von Landsberg gehört. Auf der Kuppe eine Lichtung und ein Sendemast, umsäumt von Wald, der jeden Fernblick zunichtemacht. Ein Monteur schraubt an den Innereien des Mastes herum und bemerkt uns zunächst nicht. Als wir ihn begrüßen, lässt er vor Schreck das Werkzeug fallen, fängt sich aber gleich wieder.
Er kommt aus Oberhausen im Ruhrpott und ist ständig im süddeutschen Raum unterwegs, um Handytürme zu warten. Hier tauscht er gerade Module aus, die in Deutschland entwickelt und hergestellt wurden, dann von den Chinesen kopiert worden sind und nun für den halben Preis importiert werden.
Wenn das so weitergehe, schaufeln wir uns mit den Billigimporten aus China unser eigenes Grab, bemerkt er.
Er wirkt verbittert. Das ständige Übernachten in irgendwelchen Hotels, Woche um Woche, fernab von seiner Frau, zermürbe ihn. Er komme nicht mal dazu, ein Kind zu zeugen. Am Wochenende, auf Knopfdruck, klappe das nicht. Auf die Dauer würde man sich entfremden.
Er redet sich den Frust vom Leib und gewährt uns Einblick in seine einsame Seele, wir hören einfach nur zu.
Am Ende fügt er fast entschuldigend hinzu, dass er allein unterwegs sei, und da gebe es niemand sonst, dem er sich mitteilen könne. Wir geben uns die Hand, wünschen ihm viel Glück und ziehen von dannen.
Inzwischen hat sich der Himmel aufgeheitert, und die Sonne tritt immer öfter hinter den Wolken hervor. Als wir den Berg hinunter schreiten, öffnet sich der Wald und gibt den Blick in eine Landschaft frei, wie sie lieblicher nicht sein kann. Nach dreieinhalb vernagelten Tagen durch ödes Terrain unter einem eher grauen Himmel ist dieser Moment wie eine Offenbarung. Ein breites, sonnenüberflutetes Band unterschiedlich grün schattierter Wiesen und Felder liegt wie ein schillernder Fluss zwischen der bewaldeten Hügelkette, von der wir absteigen, und dem gegenüberliegenden Waldgebiet. In sanften Bögen windet es sich mit seinen baumbewachsenen Rändern unter dem lichtblauen, von einzelnen mächtigen, weißen Quellwolken überzogenen Himmel durch das flache Tal und entzieht sich hinter einer scharfen Biegung unseren Blicken. Ein größeres Wirtschaftsgebäude in der Ferne fällt auf, stört aber ebenso wenig wie der Leberfleck im Gesicht einer schönen Frau.
Plötzlich spüre ich wieder diese Euphorie, jenes Gefühl, das ich schon verloren glaubte, welches einem Kraft und Energie verleiht. Diese positive Verbindung hat mir gefehlt, stellt sie doch das durch nichts zu ersetzende Lebenselixier des Wanderers dar. Und wie zur Bestätigung entdecken wir vielleicht 30 Meter vor uns am Waldrand ein Reh, das regungslos zu uns herüberblickt. Es ist überhaupt das erste Mal, dass wir eines zu Gesicht bekommen, nach so vielen Tagen, so vielen Kilometern und dem Durchmessen so vieler Wälder.
Beschwingt laufen wir über üppige Wiesen, rasten auf einer Lichtung im Wald, nehmen ein Sonnenbad und machen uns wieder auf den Weg, bis eine riesige Baustelle unseren Wanderfluss abrupt stoppt. Hier treibt man eine Straße in den Wald hinein und hat alles dem Boden gleichgemacht, was dem im Wege steht. Bagger, Planierraupen und Lastwagen erfüllen die Luft mit Lärm und Gestank, dass einem der Atem stockt. Wir suchen uns einen Weg durch das zerfurchte, aufgerissene Erdreich, weichen den nimmersatten Kolossen aus und verschwinden auf der anderen Seite sofort wieder im schützenden Wald, nicht wissend, welche Richtung wir einschlagen sollen. Wir wandern drauf los, haben zwar mit dem GPS-Signal eine grobe Orientierung, müssen aber dennoch den verwinkelten Wegen folgen. Irgendwann stehen wir auf verlorenem Posten an der Autobahn – weit und breit kein Übergang. Wir quälen uns an der Böschung entlang weiter Richtung Osten. Dort muss es laut Karte meines Navigationsgerätes eine Möglichkeit zur Querung geben. Die mühselige Stapferei durch hohes Gras, über Baumwurzeln und durch Gestrüpp am Fuße der Böschung ist anstrengend. Verschwitzt und zerkratzt erreichen wir endlich den Übergang und stoßen auf der anderen Seite der Trasse auf unsere Route.
Vor uns liegt Landsberg am Lech und lockt mit den Türmen, Giebelhäusern, mit der stolzen, gewachsenen Fassade einer traditionsreichen alten
Weitere Kostenlose Bücher