Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
senkrecht, zum Teil überhängend 200 Meter tief in ein Tal, auf dessen Grund sich die Oder entlang schlängelt, dahinter ein mächtiger, dunkler Bergrücken – wild und unzugänglich. Es ist früher Nachmittag, die Sonne brennt auf die Klippen, die Luft flimmert über dem Tal, die Hitze drängt uns in den Wald zurück.
Mit einer der besten Erbsensuppen, die ich jemals gegessen habe, läuten wir etwas später den Nachmittag ein und latschen gestärkt Richtung Bad Lauterberg weiter. Viel passiert nicht: keine Wanderer, keine aufregenden Wege mehr und nur noch selten Ausblicke.
An einer Weggabelung ist ein größerer Platz durch Bagger aufgerissen. Hinweisschilder fehlen, und wir finden den Einstieg unseres Wanderpfades nicht. Auf jeden Fall führen die beiden, breiten Wege in die falsche Richtung – das zeigt unser Navi. Eine Weile stehen wir unschlüssig herum. Ich konzentriere mich auf die Navigation – hier dürften wir eigentlich gar nicht sein, der Weg müsste weiter oben verlaufen. An einer Stelle des zerwühlten Platzes öffnet sich der dichte Wald. Ein kleiner Bach plätschert dort den Hang hinab und wird an seinen Rändern von schmalen Wiesenbändern gesäumt, die immer steiler sich zum Wald strecken. An einem der Wiesenhänge deutet sich an seinem oberen Rand ein schmaler Weg an. Weit kann man die Schneise nicht einsehen, sie nimmt jedoch an Steigung zu. Da wir in diese Richtung gehen müssen, um unsere Route wieder zu erreichen, und keine Alternative zu finden ist, entscheide ich mich für den Aufstieg entlang des Baches. Martin schließt sich mir widerwillig an. Auf den ersten Metern folgen wir der Andeutung eines Steiges. Doch bald schon endet er, und der Hang wird zu steil, als dass man sich an seinem oberen Rand halten könnte. Wir rutschen dem Bach entgegen, unsere Füße sacken bis über die Knöchel in dem sumpfigen Untergrund ein. Wasser schwappt in die Stiefel. Mücken fallen über uns her. Martin flucht.
Wir müssen die Rucksäcke absetzen, um an unser Mücken- und Zeckenspray heranzukommen, ansonsten liefern wir uns gnadenlos den Blutsaugern aus. Ich gehe vorweg und bestimme den Weg. Eine Weile geht es noch, doch dann wird es immer unwegsamer. Zum Umkehren ist es zu spät, dafür ist zu viel Zeit verstrichen, und wir müssen uns sputen, es ist bereits halb fünf. Immer wieder queren wir den Bach. Felsen und umgestürzte Bäume versperren den Weg und zwingen uns zu mühsamer Kletterei. Der Untergrund wird sumpfiger. Schmatzend ziehen wir mühsam unsere Stiefel aus dem Matsch. Es ist feuchtheiß wie im Dschungel. Schweiß läuft mir in die Kimme, und im Schritt reißt meine alte Wunde auf. Der Wald tritt immer näher heran, die Steigung nimmt zu.
Hinter mir stürzt mein Wanderbruder krachend zu Boden und rutscht ein Stück in den Bach. Außer sich vor Wut schmeißt er seine Wanderstöcke von sich und verweigert den weiteren Aufstieg. Es ist das erste Mal, dass ich meinen Freund an der absoluten Leistungsgrenze sehe. Verdreckt, schwitzend, schwer atmend und mit Schrammen an den Beinen, den Blick verzweifelt auf den Verlauf des Bächleins gerichtet, der nunmehr unseren Weg darstellt, steht er vor mir und hadert mit dem Schicksal. Uns bleibt keine Wahl, wir müssen weiter hinauf. Brombeerlianen am Boden machen das Voranschreiten zur Qual. Ich beginne ebenfalls zu keuchen, lasse mir aber meine Erschöpfung nicht anmerken – einer muss das Antreiben übernehmen, obwohl ich mir überhaupt nicht sicher bin, dass wir nicht in eine Sackgasse laufen. Endlich, nach über einer Stunde, scheint es, dass der Hang ein Ende hat. Die letzten Meter müssen wir klettern, und dann stehen wir auf einem Plateau und stolpern auf einen Weg.
Mein Navigationsgerät hat seinen Geist aufgegeben. Es empfängt kein GPS-Signal mehr, der Wald ist zu dicht. So renne ich hin und her und suche nach Lücken in dem Tannendickicht über mir. Schließlich entscheiden wir uns für eine Richtung. Beim Gehen starre ich ständig auf das Navi, in stiller Hoffnung, mit diesem mühseligen Anstieg eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Auf einer Lichtung erscheint endlich das Signal mit unserer blauen Wegmarkierung auf dem Display. Wir haben es geschafft, und die Richtung stimmt auch. Martins Stimmung fährt wieder in den positiven Bereich, und er faselt bereits von einem leckeren Weizenbier, als ein Hinweisschild uns brutal vor Augen führt, dass bis Bad Lauterberg noch 10,6 Kilometer zurückzulegen sind. Die Uhr zeigt Viertel
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