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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Folter glockenwach.
    Im Hüttenraum ist es dann gemütlicher. Ein Kachelofen strahlt wohlige Wärme ab, und nicht lange braucht es, bis Martin und ich mit den beiden Wanderinnen, zwei Frauen Mitte bis Ende dreißig, die ein paar Tage durch den Harz wandern, an einem Tisch hocken – eine willkommene Abwechslung, nachdem wir heute, außer kurz mit der Kellnerin im Molkenhaus, mit niemandem gesprochen haben. Witzig ist, dass die beiden aus einem kleinen Ort kommen, in dessen einzigem Buswartehäuschen wir heute Vormittag gesessen haben. Wir haben dort gerastet und uns mächtig über die Sitzgelegenheit gefreut. Die beiden würden sich dort nie hinsetzen, weil es da immer irgendwie siffig ist. Das macht den Unterschied zwischen Zivilisten und Wanderern aus. Die Letzteren sind irgendwann nicht mehr so anspruchsvoll, müssen mit dem zufrieden sein, was sich ihnen bietet.
    Wer wandert, darf nicht wählerisch sein.
    Eine ganze Weile unterhalten wir uns und haben Spaß miteinander. Die Damen gehen zuerst, Martin und ich verklappen noch ein Bier und kriechen dann in unsere Kojen.

B IS AN DIE G RENZE
DES M ÖGLICHEN
    DIENSTAG, 6. MAI
TORFHAUS – BAD LAUTERBERG (SÜDHARZ), 34 KM
    Die Tage werden immer schöner. Ein azurblauer Himmel ohne eine einzige Wolke begrüßt uns. Die frostklare Luft macht die Helligkeit ohne Sonnenbrille fast unerträglich, die Schatten wirken wie schwarze Löcher in der Landschaft. Alles ist überdeutlich und plastisch, wie in einem Hologramm.
    Gerade haben wir die Fluglandebahn mit ihrem donnernden LKWVerkehr gekreuzt und schlagen uns nun auf einem schmalen Pfad in die Büsche. Endlich ein Weglein, das eng und tief in den Wald hineinführt, um Felsen herum, über Baumwurzeln und steinigen Untergrund, durch zartes, frühes Moos, entlang kristallklarer Bäche, umgeben von unzähligen, mit grauen Flechten bewachsenen Baumstämmen, die wie zottiges Fell an ihnen haften. Über uns ein dichtes, dunkelgrünes Tannendach, das den Sonnenstrahlen wenig Raum gibt, sich zu entfalten. Wie dünne Goldfäden hängen sie zwischen den Bäumen. Es ist kalt, und der Frühling braucht noch ein wenig Zeit, um sich hier oben durchzusetzen. Nicht einmal Vogelgesang ist zu hören. So geht es über eine Stunde leicht bergan durch die Stille und Erhabenheit dieser archaischen Landschaft.
    Wir sind bereits über 900 Meter hoch, als wir plötzlich vor dem Gipfel des Achtermanns stehen – mit 926 Metern Niedersachsens dritthöchster Berg. Über Fels und Geröll klettern wir die letzten Meter. Ein unfassbar schöner Ausblick in alle Richtungen tut sich auf, diesmal aus einer anderen Perspektive als gestern. Dunkle Nadelwälder, durchwoben mit dem frischen Grün der Laubbäume, dehnen sich unter einem wolkenlosen Himmel bis zum Horizont und bedecken die Täler und Höhenrücken, die wie mächtige Wellen hintereinander stehen. Die Wildheit dieser Landschaft ist nach wie vor beeindruckend, und wieder habe ich das Gefühl, weit weg in einer nordischen, unberührten Natur zu sein, zumal man keine geteerte Straße, keine Häuser sieht und auch keinen Zivilisationslärm vernimmt.
    Der Harz ist übrigens auf diesem Breitengrad bis zum Ural in Europa das höchste Gebirge und ragt mit dem 1.145 Meter hohen Brocken knapp über die Baumgrenze. Erst in Schottland und Norwegen, weiter oben im Norden, wird es gebirgiger.
    Irgendwie hat man eine piefige Vorstellung vom Harz, sein Image ist nicht das Beste. Harz, das sind alte Leute und Rentner, die mit Bussen von Jausen- zu Jausenstation gekarrt werden, in den betulichen Städtchen die Cafés bevölkern und auf Tanztees Foxtrott und langsamen Walzer tanzen. Im Molkenhaus bekamen wir eine kleine Kostprobe davon, und jetzt wanken tatsächlich einige Greise über das Geröll am Fuße des Gipfels. Na, hoffentlich schätzen sie den letzten, steilen, unwegsamen Anstieg richtig ein. Unweigerlich beuge ich mich vor, um das Geschehen eine Weile zu beobachten, dann verliere ich sie aus dem Blickfeld. Plötzlich, nachdem ich sie bereits abgeschrieben habe, tauchen sie am Gipfel auf, schwer atmend und stolz – Hut ab, das hätte ich nun nicht gedacht.
    Die Landschaft des Hochharzes passt ganz und gar nicht zu seinem Image. Sie ist besonders, wirkt abweisend und geheimnisvoll, aber damit auch faszinierend, irgendwie fremdartig und nicht deutsch, auf jeden Fall ist sie einen Besuch wert. Dieser Eindruck bestätigt sich auch an den Hahnenkleeklippen. Eine etwa 700 Meter breite Felswand fällt nahezu

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