Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
leicht bergan. Je höher wir kommen, desto frühlingsferner ist die Natur. Die hier noch spärlich belaubten Laubbäume werden immer weniger, und der dunkle Nadelwald des Harzes tritt an uns heran. Rau und abweisend wirken die vielen Fichten und Tannen. Aufgrund der breiten Wege hat man das Gefühl, nicht so recht im Wald zu sein, sondern lediglich ein Stück in ihn hineinzuschauen. So bewegen wir uns in einer Zwischenwelt, stundenlang, kurven an Abhängen vorbei, die einen herrlichen Blick über die Baumwipfel hinweg zu den angrenzenden Höhenzügen zulassen. Keine Häuser, keine Autos – in den Karpaten oder irgendwo in Kanada könnte ich sein. Die Unnahbarkeit dieser dunklen Wälder wirkt so menschenfern und archaisch, ein Zuhause für Bären und Luchse. Doch der stahlblaue Himmel über dem schwarz-braun-grünen Teppich öffnet die Landschaft, macht sie weit und endlos, und aus diesem Kontrast – dem Dunkel der Wälder und der lichten Ferne über den Bergen – erwächst ein Zauber, dessen Kraft und wilde Schönheit mich erschauern lassen. Entrückt, unnahbar und zugleich herzzerreißend ist das Antlitz dieser Bergwelt.
Gegen vier Uhr nachmittags erreichen wir Gasthaus Molkenhaus, eine dieser großen Raststationen mit Busanschluss im Harz. Im Kaffeegarten sitzen einige wenige Gäste mit Blick auf eine Wiese, die für die Rotwildfütterung hergerichtet ist. Wir nehmen Platz, ziehen unsere Schuhe aus und lüften unsere heißen Füße. Schwarzwälder Kirschkuchen, ein Pott Kaffee, vorweg eine kalte Apfelschorle – das passt. Auf der Schauwiese vor uns tut sich nichts. Synthesizermusik aus dem Innenraum des Gasthauses dudelt durch den Kaffeegarten und übertönt den Gesang der Vögel. An einem Keyboard sitzt ein älterer Herr, ein noch älteres Paar dreht auf dem Parkett seine einsamen Runden, und an einer Säule lehnt eine Kellnerin, die verloren den Tanzenden hinterherschaut. Ein letzter Reigen, ein Bild voller Melancholie.
Nach einem heftigen Anstieg stehen wir plötzlich auf einer Landebahn mit einigen wenigen Gebäuden an ihren Rändern. Eine riesige, vierspurige Straße mit uferlosen Parkplätzen erweckt diesen Eindruck. Eine Skihütte, zwei, drei Snackbars und ein Hotel säumen sie. Unsere Hütte steht etwas abseits. Willkommen in Torfhaus. Das Ambiente ist furchtbar, so dass ich am liebsten weitergehen würde. Der Blick auf den Brocken, der von hier aus eher wie ein Höhenzug als ein majestätischer Berg anmutet, entschädigt nicht. Torfhaus bleibt eine riesige Straße, an der einige Häuser kleben – zumindest aus dieser Perspektive. Jetzt donnern auch noch zwei Lastwagen mit Hänger über die Piste und entjungfern die Stille, die uns bislang begleitet hat. Wir flüchten in unsere Herberge und treffen auf zwei weitere Wanderer – das Reservieren hätten wir uns sparen können.
Die Unterkunft ist ausgestattet wie eine Wanderhütte im Hochgebirge: schlichte, enge und dunkle Mehrbettzimmer ohne Waschgelegenheit, doppelstöckige Betten mit Drahtnetzfederung und schlechten Matratzen. Es gibt einen Waschraum mit zwei Duschen und separaten Toiletten. Um das Übernachtungserlebnis in dieser ehemaligen Alpenvereinshütte so echt wie möglich einer entlegenen, nur zu Fuß erreichbaren Hütte in den Alpen gleichkommen zu lassen, hat man die Heizung ausgestellt. Die Dusche lässt sich nur mit einer Duschmarke, die einen Euro kostet, für drei Minuten mit warmen Wasser genießen. Wobei es dauert, bis es warm ist. In dem auch am Boden gefliesten Waschraum ist es schweinekalt, genau wie das Wasser aus den Hähnen über den Waschbecken. Fröstelnd trockne ich mich nach der viel zu kurzen Dusche ab und verlasse fluchtartig und fluchend den Raum.
Was liebe ich nach einer anstrengenden Wanderung das stundenlange Stehen unter der bis an die Schmerzgrenze heißgestellten Dusche. Ich kriege schlechte Laune, wenn man die Warmwasserregulierung bis zum Anschlag aufdrehen muss und nur ein schlapper, lauwarmer Strahl über den Rücken plätschert und man schon bald zu frieren anfängt. Das Duschen aber gegen die Zeit ist schlicht menschenverachtend. Wenn du nicht schnell genug bist, stehst du da, schnatternd vor Kälte mit Schaum im Haar. Jetzt musst du deinen Schädel unter den Kaltwasserkran eines Waschbeckens pressen. Schon nach kurzer Zeit fühlt er sich an, als sei er in einen Schraubstock gezwängt. Das Eiswasser verursacht pochende Schmerzen, und du hast das Gefühl, dein Kopf schrumpft – allerdings macht dich diese
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