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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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nach fünf. Jetzt bin ich es, der maulig wird und keinen Bock mehr auf Strapazen hat.

    Das Wandern ist des Müllers Lust
und wer kein Müller ist, der hat nur Frust.
    Strapazen sind wohl eine der ständigen Begleiter des Fernwanderers!
    Wir können nicht im Freien übernachten, da in Bad Lauterberg zwei Freunde zu uns stoßen, die drei Tage mit uns wandern wollen, außerdem haben wir kaum noch Wasser und nichts Handfestes zu essen.
    So starten wir unseren schweren Gang. Immer weiter, immer weiter, immer schneller, immer schneller. Irgendwann befinde ich mich in einem tranceartigen Zustand, mutiere zu einem Tier, das nur eines im Sinn hat: vorwärts, vorwärts. Der Blick ist stier auf den harten Forstweg gerichtet, die Beine stampfen im gleichbleibenden Rhythmus auf den Grund, und das Klackern der Wanderstöcker ist wie das Schlagen des Taktgebers in einem Wettkampfboot: klack, klack – klack, klack. Ich spüre nichts mehr, nehme die Umgebung kaum wahr. Ein dumpfer Instinkt treibt mich zur Höchstleistung an und frisst meine Reserven auf. Nach einer Stunde haben wir sechs Kilometer abgerissen und lehnen erschöpft an einem Brückengeländer – unter uns der schmucklose Oderstausee.
    Der lange Einmarsch nach Bad Lauterberg beginnt. Immer, wenn wir glauben, es geschafft zu haben, ist das Ende doch nicht erreicht, weil der Weg endlos am See mäandert und Bad Lauterberg das Straßendorf schlechthin ist. Wir lenken uns mit Sprüchekloppen ab, die in Reimform oder als Wortspiel vorgetragen werden. Die Qualität wird mit maximal drei Punkten gewürdigt. Ich liebe solche Spontangedichte. Martin tut sich da schwerer, ergötzt sich aber an meinen Ergüssen, Tabus gibt es nicht:

    „Fangen die Füße an zu brennen, kannst du nicht mehr rennen.“
    Passt, wackelt und hat Luft – drei Punkte.
    „Lieber seine Frau verkaufen, als beim Wandern sich verlaufen.“
    Man weiß, wovon man redet – drei Punkte.
    „Lieber eine Latte in der Hose als ein Brett vorm Kopf.“
    Da ist inzwischen eine ganze Bretterwand vor dem Schädel, und in der
    Hose bewegt sich gar nichts mehr – na ja, ein Punkt.
    „Selbst im Himmel gibt es Türen, die in die Hölle führen.“
    Oha, ein philosophischer Frontalangriff – drei Punkte.
    „Oh, selige Stille, du ländliches Glück,
    Nur eine Kuh mit prallem Euter blökt wie verrückt.
    Zum Kuckuck noch mal, der Bauer ist blau,
    Hat sie vergessen – die Sau.“
    Wie bitte? – zwei Punkte.
    Die Zeit vergeht. Kurz vorm Ziel ist mein Akku leer. Ich kämpfe wieder mal gegen das Bedürfnis an, sich einfach auf den Weg zu schmeißen und einzupennen. Schleppend und schlurfend erreiche ich schließlich den Ortskern, während Martin, nicht gerade federnden Schrittes, aber bester Laune vor mir her schreitet. Gott sei Dank können wir in dem ersten Hotel ein Doppelzimmer buchen, das sich allerdings als eine zehn Quadratmeter kleine Höhle entpuppt und 75 Euro kosten soll. Von der Toilette trennt uns nur eine Falttür. Geräusche jedenfalls lassen sich damit nicht dämmen, ganz abgesehen vom Geruch. Wenn ich mir so vor Augen führe, was mein Wanderbruder verklappt, dann steht mir heute eine Live-Session ins Haus: der Stuhlgang als Gemeinschaftserlebnis im Harz. Um fünf Euro können wir den Preis noch drücken – immerhin. Per Handy benachrichtigen wir unsere Freunde, und wenig später sind auch sie untergebracht. Besser wären natürlich Einzelzimmer gewesen, aber die sind so teuer, dass wir uns anders entscheiden mussten.
    Herrlich und unglaublich entspannend sind die Momente unmittelbar nach der Beendigung der Tagesetappe. Endlich ist die Strecke bewältigt, und die Anstrengungen und Anspannungen, die meist den Ausklang der Wanderung begleiten, lösen sich.
    Ich sitze mit meinen Freunden vor dem Hotel, die Schuhe neben den Stuhl gestellt und die Beine lang von mir gestreckt. Das erste Weizenbier wird gereicht und mundet wie Götternektar. Man spürt noch ein Nachbeben der körperlichen Verausgabung, doch der Geist stellt sich auf Ruhe und Entspannung ein. Ein Schub von Endorphinen lässt pures Glück durch meine Nervenbahnen strömen. Am liebsten bliebe ich den Rest des Abends hier sitzen. Selbst den Gang zum Klo würde ich, wenn ich könnte, vermeiden. Alles ist gut, ich schwebe auf einer Wolke. Der sich verabschiedende Tag lächelt mir zu und nimmt die Erinnerungen an die beschwerlichen Abschnitte mit sich.
    Glück ist ein seltenes Gut. Wenn du es rufst, hört es dich nicht, und wenn du dich danach

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