Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
sanft abfällt, dann jäh ansteigt und wieder auf den Wald stößt, dessen Saum ins goldene Licht der Abendsonne getaucht ist.
Noch zwitschern die Vögel. Eine Kirchturmuhr schlägt in dem Dörflein, dessen Rand man vom Weg aus in einiger Entfernung sehen kann. Es ist unfassbar friedlich. Die Welt wirkt so unreal, als ob sie einer anderen Zeit entsprungen sei. Ein Konzertflügel vor uns auf dem Feld und Nocturnes von Chopin, das würde jetzt passen. Martin lacht bei diesem Gedanken.
„Och, Wolfgang, die würde ich dir wohl spielen.“
Wir prosten uns zu und schauen, wie die Nacht sich senkt. Die Schatten haben den gegenüberliegenden Waldessaum geschluckt, die Vögel begeben sich zur Ruhe, der Wind hat sein Spiel in den Wipfeln der Bäume beendet – die Welt legt sich zum Schlafen nieder. Wir tun es ihr gleich und mummeln uns in unsere Schlafsäcke.
Irgendwann wache ich auf, blicke in den Sternenhimmel und höre hinter mir im Wald seltsame, fremde Geräusche: ein hohles, hohes Bellen und Bölken, ein Rascheln und Knacken im Unterholz. Wenig später scheint es, als breche eine Herde stampfender Urtiere durchs Gestrüpp. Dann plötzlich ist es stiller. Ich wage kaum zu atmen, geschweige denn meine Position zu ändern. Ängstlich richte ich mich schließlich ein wenig auf und lausche angespannt in den Wald. Unheimlich ist mir die Nacht. Kühl und gleichgültig liegt sie über dem Land und schert sich um niemanden, schon gar nicht um mich.
Mein Wanderbruder schnarcht. Ich würde ihm am liebsten das Maul stopfen, habe Angst, dass die Wesen aus dem Wald aufmerksam werden und uns entdecken. Dann setzt es wieder ein, dieses hohe, unheimliche Bellen, und nicht weit entfernt vernehme ich ein Grunzen und Schmatzen. Das sind Wildschweine. Mir wird angst und bange, kalter Schweiß steht mir auf der Stirn. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass das Bellen von den Rehböcken kommt. Mit zitternder Hand taste ich nach dem Pfefferspray, bekomme es zu fassen und richte es gegen die schwarze Mauer, dorthin, wo die Geräusche am lautesten sind. Will eine Wolke abschießen, finde aber die Druckstelle am Sprayer nicht. Das gibt’s doch nicht, warum funktioniert das Scheißding nicht!? Panik erfasst mich, im Wald ist die Hölle los. Bis ich feststelle, das das Gerät eine Sicherung hat, die man hochklappen muss, bin ich durchgeschwitzt und stehe kurz vor einem Blackout: Gleich brülle ich los und fuchtele mit Taschenmesser und Taschenlampe in der Dunkelheit herum – vielleicht macht das ja Eindruck.
Endlich schießt ein rötlicher Strahl aus meiner Waffe in den Nachthimmel und verbreitert sich an seinem Ende zu einer mächtigen Wolke. Reicht das, wenn da eine Herde wildgewordener Tiere auf mich zustürzt? Ich wage nicht, mich hinzulegen, verharre in meiner jetzigen Stellung eine halbe Ewigkeit, wegzulaufen traue ich mich nicht. Man stelle sich vor, ich stürze über das nächtliche Feld, und hinter mir nähert sich ein Rudel geifernder Wildschweine. Hab’ ich irgendwo schon mal gehört, dass ein Mensch in Deutschland auf diese Weise umgekommen ist? Kann mich nicht erinnern, aber es gibt eben auch nicht viele, die sich so bescheuert an irgendeinem Waldrand zur Nachtruhe begeben. Langsam wird es ruhiger und hört schließlich ganz auf.
Oh, oh, was wird das wohl für eine Restnacht. Keineswegs entspannt gleite ich vorsichtig in den Schlafsack zurück. Jedes Geräusch macht mich unruhig, die Minuten kriechen dahin. Für die Schönheit des Firmaments habe ich keinen Sinn, und das selige Schlummern meines Nachbarn macht mich wütend. Die halbe Nacht liege ich wach, so scheint es mir zumindest. Schließlich überwindet mich der Schlaf und lässt mich nicht mehr los, bis der Morgen graut und ich mit dem Pfeffersprayer in der Hand erwache.
E IN T AG IM W ALD
FREITAG, 9. MAI
WALD BEI BICKENRIEDE – NAZZA (HAINICH), 32 KM
Wieder sitzt mein Freund Martin bereits auf seinem Schlafsack und salbt sich die Füße. Ich könnte noch gut ein Stündchen vor mich hin dämmern, bevor es mich weitertreibt. Aber gegen einen Frühaufsteher kommst du nicht an, der nervt schon durch seine bloße Anwesenheit.
Die Nacht war um einiges wärmer als die vorhergehende. Habe ich zuvor fast gefroren, so war es mir während dieser Nacht viel zu heiß. Vorsorglich hatte ich meinen Biwaksack über den Schlafsack gezogen, aber damit so viel Wärme erzeugt, dass ich es irgendwann in der Nacht nicht mehr aushielt und ihn entfernen musste.
Nervig an unseren
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