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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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fleckig. Ein Kabel ragt aus der Wand, wo einst eine Lampe war. Wir stehen vor einem ehemaligen Kino aus den Zeiten der DDR.
    Im Ort herrscht rege Betriebsamkeit, obwohl es bereits früher Abend ist. Beim nächsten Hotel bekommen wir auch den Grund für diese Geschäftigkeit geliefert: In zwei Tagen, über Pfingsten, finden hier die traditionellen Reitertage statt, und jedes Bett im Ort ist belegt.
    Na klasse!! Keiner von uns kann sich vorstellen, jetzt noch einzukaufen und einen geeigneten Platz für die Nacht zu suchen. Es reicht für heute.
    Uns bleibt nichts anderes übrig, als einfach Passanten nach einem Quartier zu fragen.
    Eine junge Frau mit einem Kind kommt uns entgegen. Ich fasse mir ein Herz und spreche sie an. Ein eher verzweifelter Versuch, der eine wunderbare Wendung nimmt. Sie kennt eine Pension in Nazza, einem fünf Kilometer nördlich gelegenem Ort, und sie hat die Telefonnummer dabei, bietet an, uns mitzunehmen, da sie aus dem Dorf komme. Martin telefoniert sofort, und siehe da – ein einziges Doppelzimmer ist noch frei. Wie heißt es so schön: „Das Glück ist mit den Tüchtigen.“
    Wir fahren bachaufwärts in ein schmales Tal hinein und werden von der guten Fee direkt vor der Pension abgesetzt. Noch ein paar Schritte, und ein verwunschener, kleiner Biergarten, überschattet von einer riesigen Kastanie, nimmt uns auf. An der Fassade des Restaurants und an einer Pergola rankt Wein. Zwischen den Tischen stehen Kakteenund Blumenkübel. Es ist mild und lauschig, wie in einer Weinlaube im Süden, und aus dem schmalen Tal klingt das Rauschen des Lempersbaches herauf, der dort der nahen Werra entgegeneilt.
    Mit einem kühlen Hefeweizen stoßen wir an und freuen uns über so viel Glück. Genießen wie Abenteurer, die gerade eine Expedition beendet haben, den Komfort der Zivilisation – stolz, heute die 300-Kilometermarke überschritten zu haben.

D ER O RGELSPIELER
    SAMSTAG, 10. MAI
NAZZA – RUHLA (BEI EISENACH, THÜRINGER WALD), 22 KM
    Wir sind wieder unterwegs. Eine Sehne in meiner rechten Kniekehle schmerzt, und die Füße fühlen sich auch nicht gut an. Mein Wanderbruder kämpft auch, aber mir geht es eigentlich immer etwas schlechter als ihm.
    Wir haben in den ersten zehn Tagen im Schnitt über 30 Kilometer pro Etappe geschafft und damit ein ganz schönes Tempo vorgelegt und unseren Körpern allerhand zugemutet. Das kann so nicht weitergehen. Deshalb habe ich beim Frühstück vorgeschlagen, heute nur bis Eisenach zu laufen, insgesamt 22 Kilometer. Wegen der Pfingstfeiertage und dem dann zu erwartenden Andrang auf dem Rennsteig haben wir drei Übernachtungen im Thüringer Wald vorgebucht. Eisenach gehört allerdings nicht dazu. Unser Quartier für heute Abend liegt ungefähr fünf Kilometer weiter, abseits unserer Piste. Wie wir dahin kommen wollen, sparen wir erst einmal aus.
    Wir laufen jetzt durch die Auen bachabwärts Richtung Mihla, durch saftiges, grünes, mit gelbem Hahnenfuß durchsetztes Gras. Weiden und Erlen säumen das Ufer des Lempersbaches, und unser Weg wird beschattet von Pappeln und Ulmen. Wir passieren Mihla und wandern nun über freies Feld der Sonne entgegen.
    Ich hätte gestern doch besser mit Martin in dem französischen Bett und nicht auf der an der Wand etwas abseits stehenden Pritsche schlafen sollen – sie war viel zu schmal und die Matratze zu dünn und zu weich. Meinem Rücken hat das nicht gut getan. Wieso hat Martin eigentlich im Bett geschlafen und nicht ich? Das nächste Mal werden wir losen.
    Nach einer Stunde führt unser Weg auf eine Landstraße. Linker Hand, unter einem sonnigen, blauen Himmel, der sanft ansteigende Hainich. An seinem Fuße kleine Dörfer und Rapsfelder, die sich bis zum Waldrand erstrecken.
    Das Land ist hügelig. Ständig geht es auf und ab, und jedes Mal wird der Anstieg anstrengender.
    Ich wundere mich, dass es einem doch immer wieder gelingt, sich einzulaufen. Irgendwann sind die Anfangsbeschwerden weg. Die Wirbel sitzen wieder an der richtigen Stelle, und die Blasen hat man breitgetreten. Ab und zu muss ich die Einstellung der Gurte am Rucksack verändern, um die Spannung aus Schultern und Nacken zu nehmen. Dann geht es wieder.
    So gibt es bisher meist immer eine Phase am Tag, in der man ganz gut zurechtkommt.
    Wir stapfen einen weiteren langgestreckten Hügel hinauf, schweigend, dicht hintereinander am linken Straßenrand, ich vorweg. Hin und wieder braust ein Auto vorbei, der Blick ist nach unten gerichtet. Ich halte das Tempo hoch, um

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