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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Schlafsäcken ist auch, dass sie sich nach unten hin verjüngen und man die Beine nur zusammen mit dem Sack anwinkeln kann. Außerdem kann man nicht eben mal einen Fuß unter der Bettdecke hervorstrecken. Natürlich könnte man sich mit dem geöffneten Schlafsack lediglich zudecken. Dann würde man allerdings irgendwann auf dem bloßen Boden liegen, da man ständig von der Isomatte rutscht, und wer weiß welches Getier am Leibe haben. Tja, es ist für uns Zivilisationsmenschen gar nicht so einfach, in der Natur zurechtzukommen.
    Kurz nach sieben sind wir wieder bei schönstem Wetter unterwegs. Es geht über offenes Feld, still und hungrig, wie tags zuvor.
    Eineinhalb Stunden dauert es, bis wir, eine Landstraße hügelaufwärts stapfend, dem ersten Ort entgegenstreben. Vorbei an einer protzigen, kalten Villa aus weißem Klinker, errichtet vor den Hallen eines riesigen Gestütes. Davor ein kurzgeschorener, kahler, schmuckloser Rasen, so groß wie ein halbes Fußballfeld – eigentlich zu nichts nutze. Wer so wohnt, hat viel Geld und will das auch zeigen, egal, wie es aussieht. Es gibt viele solche Häuser.
    Derweil haben wir den Ortskern erreicht. Müde schauen wir uns nach einer Gelegenheit zum Frühstücken um und entdecken tatsächlich einen Gasthof, der auch geöffnet hat. Eine kleine, menschenleere Gaststube empfängt uns. Es riecht nach frisch aufgebrühtem Kaffee.
    Wenig später sitzen wir an einem Tisch und erhalten für nur 4,50 Euro ein herrliches Frühstück. Zwei Hotelgäste, ein älteres Paar, erscheinen noch und nehmen uns gegenüber Platz. Unsere Rucksäcke entgehen ihnen nicht, und so kommen wir ins Gespräch. Sie sind, wie kann es anders sein, im letzten Jahr ein Teil des Jakobsweges gelaufen und schwärmen von ihren Erlebnissen. Sie war Krankenschwester in der DDR und konnte den vielen, fußkranken Pilgern mit ihrer Erfahrung und ihren Salben helfen. Besonders ihre Methode, mit einem Zwirn Drainagen in die aufgestochenen Blasen zu legen, um zu verhindern, dass sich Wundwasser unter der heilenden Haut bildet und somit gleich die nächste Blase entsteht, beeindruckt mich. Meine breitgetretenen Füße pochen an ihren wunden Stellen nämlich verdächtig, und ich befürchte, so einen Zweitblasenbildungsprozess mache ich gerade durch.
    Gegen zehn machen wir uns wieder auf. Vor uns den Hainich, mit 25 Kilometern Länge und 16.000 Hektar der größte zusammenhängende Laubwald Deutschlands. Als grüne Oase bildet er gleichzeitig den Mittelpunkt unseres Landes. Nur die Errichtung von Gasthäusern hat man versäumt – auf seinem in der Mitte verlaufenden Nord-Süd-Weg, dem Rennsteig, gibt es nur ein einziges, das man bereits nach wenigen Kilometern passiert.
    Dementsprechend haben wir vorgesorgt, vor allem unseren Wassertank im Rucksack mit zwei Litern prall gefüllt. So ein Tank auf dem Rücken ist eine phantastische Sache. Er ist mit einem Schlauch versehen, der durch eine kleine Öffnung im Rucksack über den rechten Tragegurt geführt wird und am Ende ein Ventil hat, welches man mit einem leichten Biss öffnen kann. So kann man jederzeit beim Wandern trinken, ohne anzuhalten.
    Am späten Vormittag erreichen wir das Tor zum Hainich. Gewaltige Rotbuchen säumen seinen Eingang und bilden mit ihren mächtigen Kronen einen Torbogen. Links und rechts davon streckt sich die grüne, undurchdringliche Mauer aus Gebüsch und Bäumen die Hänge hinauf und verschwindet hinter den Kuppen der Hügel. Bis zum Abend werden wir nun durch diesen Wald ziehen – wir sind gespannt. Richtig feierlich ist uns beim Durchschreiten des Tores zumute. Eine dämmrige Kühle und der würzige Geruch des Bärlauchs schlagen uns entgegen und begleiten unseren Weg in den Wald.
    Schon bald befinden wir uns auf einem breiten, brettharten Forstweg, der schnurgerade in eine leichte Senke führt und dann stetig ansteigt, bis er am Horizont den Himmel berührt. Haben wir die Höhe erreicht, bietet sich ein ähnliches Bild, und so geht es immer weiter fort. Endlos streckt sich der Weg. Man hat das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Hin und wieder glaubt man sogar, an einer Stelle bereits gewesen zu sein, da Wald und Weg kaum Abwechslung bieten.
    Ich mag solche Strecken nicht. Man befindet sich, wie auf manchen Wegen im Harz, in einer Zwischenwelt: nicht richtig im Wald, aber auch nicht außerhalb von ihm, und jeder Blick nach vorn ist mit Unlust verbunden, weil er einem offenbart, wie weit man laufen muss, ohne dass sich etwas ändert.

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