Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
das ungewohnte Auftreten auf dem unebenen Boden legt den Grundstein für eine neue Blase. Knapp 150 Meter geht es so bergauf, dann hat diese Art von Frühsport Gott sei Dank ein Ende. Wir stehen vor einer Baude, einer kleinen Schutzhütte. Nichts wie runter mit den Rucksäcken und den klatschnassen T-Shirts. Ich muss außerdem meinen Wolf mit Mirfulan behandeln, meine Druckstelle am Fuß schaue ich mir erst gar nicht an.
An einer Stelle gibt der Wald den Blick frei. Völlig unerwartet liegt lichter Nebel und Dunst über den bewaldeten Höhen und Tälern. Wie Scherenschnitte stehen die Höhenzüge hintereinander, ein Schattenbild der Wirklichkeit. An den Flanken der Berge ein feiner, violetter Ton, gerade so eben wahrnehmbar – eine entrückte, unwirkliche Welt, zart und zerbrechlich.
Der Gedanke an ein Frühstück treibt uns weiter nach Masserberg am Rennsteig, einem schmucken, modernen Touristenort. In einem Hotel kaufen wir uns für nur sechs Euro in das Frühstücksbuffet ein und bekommen alles, was das Herz begehrt. Ich fange an bei Rührei mit gebratenem Schinken, dann Wurst und Käsebrötchen mit Tomaten und am Ende ein Croissant mit Marmelade, dazu Kaffee und Saft satt. Im Toilettenwaschraum machen wir uns anschließend frisch und sind bereit zum Abmarsch.
Der Rennsteig verändert sich. Er führt nun einsam durch einen lichten, hohen Fichtenwald, ohne dass immer wieder, wie gestern und vorgestern, eine Straße seinen Lauf begleitet. Der Waldboden ist bedeckt mit Gräsern, Moos und Farnen anstatt mit braunen, verdorrten Tannennadeln, Tannenzapfen und toten Ästen, wie an jenen Stellen, wo die Stämme dicht an dicht stehen und sonst nichts gedeiht. Hier finden wir endlich über eine längere Strecke die Ursprünglichkeit und Abgewandtheit eines Wanderweges, die der Rennsteig sonst oft vermissen lässt. Wir laufen nun den vierten Tag fast ausschließlich im Wald, doch häufig wirkte er unnahbar und verschlossen. Aber auf dieser wunderbaren, zweistündigen Tour bis Friedrichshöhe öffnet er sich, nimmt uns auf, zeigt sich als ein Stück Natur, das lebt und atmet. Der Morgennebel hat sich aufgelöst. Es ist zwar schwül, doch noch ist der Himmel klar und tiefblau. Bündel von Sonnenstrahlen dringen durch das lichte Walddach und stehen wie Lichtsäulen schräg zwischen den hohen Bäumen.
Bald nach dem kleinen Ort Friedrichshöhe erreichen wir unseren Endpunkt des Rennsteiges, den Dreiherrenstein. Hier biegen wir scharf nach Süden ab und freuen uns auf neue Landschaften. Doch noch liegt der Südhang des Thüringer Waldes vor uns, bevor wir das Coburger Land erreichen. An einer Gaststätte gönnen wir uns eine Mittagspause. Ich bestelle mir eine Suppe. Sie wird aufwendig serviert, in einem Kupfertopf, der an einem Galgen hängt und mit einem Teelicht in einer Kupferfassung von unten warm gehalten wird. Eine kleine Schöpfkelle und eine verzierte Suppenschale runden das Ensemble ab. Martin isst einen üppigen Salat mit diversen Kräutern, von denen einige starke Blähungen verursachen können.
Wir sitzen im Garten des Restaurants, Schuhe und Socken ausgezogen und die Beine auf die gegenüberliegenden Stühle gelegt. Ich habe mir eine fette Blase gelaufen, und die muss ich jetzt behandeln – aufstechen, trocknen lassen und salben, das ganze Programm. Zu guter Letzt strecken wir uns auf dem Rasen aus und halten ein Mittagsschläfchen. Die wenigen Gäste können uns davon nicht abhalten, auch wenn sie uns neugierig beäugen.
Wir rüsten uns für den Nachmittagstreck und verlassen das lauschige Plätzchen. Schon bald gibt es keine Wegmarkierungen mehr. Ich muss ständig navigieren, da wir immer wieder auf Gabelungen stoßen. Es wird unwegsamer und enger, und die Schwüle drückt bis auf den Grund des Waldes. Dann verlieren wir unsere Wanderroute. Einmal nicht aufgepasst und schwupp, schon irrt man durch das Dickicht. Die Wege kann man nur noch erahnen. Wir müssen durch hohes Gras, Buschwerk drängt sich in den Pfad, und in den Kuhlen steht Wasser. Hier ist lange kein Mensch mehr gegangen. Umgestürzte Baumriesen, samt Wurzeln aus dem Boden gerissen, liegen kreuz und quer – auch über dem Weg. Laubbäume drängen sich zwischen die Fichten, Brombeerranken und Farn wuchern am Boden, kleine, junge Bäume recken und strecken sich zum Licht. Die Luft ist voller Insekten – es ist wie im Urwald.
Vorbei ist es mit dem komfortablen Wandern auf dem Rennsteig. Mir gefällt das. Die Unberührtheit, die Einsamkeit und
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