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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Herzen auf den Rand des Sofas zu meiner Frau.
    Sie lag noch immer mit geschlossenen Augen dort, und als ich sie ansprach, lächelte sie. Sie hat sonst ein wunderschönes Lachen und zeigt dabei immer ihre ebenmäßigen Zähne. Nun aber wurde ich von Panik gepackt. Ihr Kopf war plötzlich ganz klein, so groß wie ein Apfel, und die Zähne waren riesig. Eigentlich bestand ihr Gesicht nur noch aus diesen beiden Zahnreihen. Mich schauderte. Hastig und panisch erzählte ich ihr von meinen Visionen, stand dabei auf und knipste sämtliche Lampen an. Sie selbst fühlte sich gut. Ich musste irgendetwas tun, weil ich glaubte, mich damit ablenken zu können. Ich wollte einen Salat machen. Die Küche war mit dem Wohnzimmer durch einen offenen Durchgang verbunden, so dass ich nicht alleine war. Ich schnappte mir ein Messer und nahm einen Salatkopf. Plötzlich verspürte ich den Drang, mir das Messer in den Bauch zu rammen. Geschockt warf iches von mir und stürzte zurück ins Wohnzimmer zu meiner Frau. Ich dachte, ich werde wahnsinnig, und kämpfte mit der verbliebenen Willenskraft mit aller Macht dagegen an.
    Meine Frau lag noch immer da, wimmerte aber nun und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie sah Gespenster, weiße Gestalten, die hinter den dunklen Fenstern im Garten tanzten und Schrecken verbreiteten. Mir ging es plötzlich etwas besser, so dass ich sie ohne Panik in die Arme nehmen konnte. Sie zitterte am ganzen Leib, und die Gestalten wichen nicht aus ihrem Kopf. Ich schnappte mir eine Wolldecke und verdeckte das ihr gegenüberliegende Fenster.
    So ging das hin und her. Gott sei Dank waren die Phasen des Wahnsinns bei uns beiden so versetzt, dass meist der eine für den anderen sorgen konnte. Wie Wellen brandeten furchteinflößende Visionen über unseren Verstand und drohten unsere Handlungen außer Kontrolle zu setzen. Wir ließen uns nicht mehr aus den Augen, begleiteten einander sogar aufs Klo. So ging das die ganze Nacht, ständig ankämpfend gegen den Wahnsinn und den Verlust der Kontrolle, bis wir irgendwann erschöpft ins Bett fielen. Eng aneinander gekuschelt warteten wir auf den erlösenden Schlaf, und mein letzter Blick, an den ich mich erinnern kann, fiel auf den phosphoreszierenden Lichtschalter, der sich in das lauernde Auge eines Tigers verwandelte.
    Nie wieder haben wir je irgendwelche harten Drogen ausprobiert. Man kann sich und die Welt auf Dauer nicht überlisten.
    Wir sind wieder auf dem Rennsteig. Die Stimmung ist aufgeräumt, und es lässt sich gut laufen. Wir passieren einen Bahnhof und kurz darauf einen riesigen Park mit einem Hotel und einem Stasi-Bunkermuseum. Das Ganze erscheint uns wie ein Versehen. Bunker, Park und Bahn mitten im Thüringer Wald auf seinen höchsten Höhen – als wenn es sonst nichts zu sehen gäbe!
    Uns ist gar nicht mehr bewusst, wie nah die Zivilisation ist. Seit Tagen sind wir durch keine Ortschaft mehr gelaufen, streifen nur durch Wälder und haben das Gefühl, an dem Gang der Welt nicht mehr teilzuhaben, und plötzlich steht man dann mitten im Wald vor einem Bahnhof. Vielleicht treffen wir ja demnächst auf eine Fußgängerampel.
    In Gespräche vertieft, geht es weiter und weiter, bis nach gut einer Stunde ein weiteres Gebäude auftaucht. Es ist wieder ein Bahnhof, und wir wundern uns über diese Stationen mitten im Wald. Irgendwie hat das Gebäude eine verdammte Ähnlichkeit mit dem Bahnhof von vorhin, und als wir schließlich davorstehen, wird uns klar, dass wir im Kreis gelaufen sind.
    Ich kann mir das nicht erklären. Wir haben doch immer auf die Wegmarkierungen geachtet, gerade an den Weggabelungen. Allerdings habe ich seit einiger Zeit keinen Blick mehr auf das Navi geworfen. So kann’s kommen. Wir haben zu viel gesabbelt und irgendwo einen Abzweig übersehen.
    Wieder laufen wir vom Bahnhof Richtung Bunkermuseum und Park, gelangen an eine Weggabelung und siehe da, jeder Abzweig ist mit einem ‚ R‘ gekennzeichnet, die sich aber leicht unterscheiden. Bei der einen Strecke handelt es sich um die Fahrradvariante, und der sind wir gefolgt, ohne zu realisieren, dass es zwei Markierungen gab. Allerdings führte der Fahrradweg zurück und stieß nach einiger Zeit am Bahnhof wieder auf den eigentlichen Rennsteig.
    Mit Verspätung erreichen wir den winzigen Ort mit dem sinnigen Namen Allzunah. Ein paar Häuser links und rechts der Straße und ein Ausflugslokal am Ortseingangsschild, das ist alles. Wir gesellen uns zu einer Gruppe von Radfahrern in den

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