Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Kaffeegarten, bestellen eine Soljanka, Brot und Apfelschorle, brechen aber bald wieder auf, um noch ein wenig Strecke zu machen. Verabschiedet werden wir von der Fahrradclique mit den Worten „Gut Runst“, wohl der traditionelle Gruß für Insider auf dem Rennsteig.
So runsten wir denn weiter gen Neustadt durch Wald und wieder Wald, immer etwa in 800 Meter Höhe bleibend, Stunde um Stunde, ohne dass wir jemandem begegnen und ohne einen Blick in die Ferne. Ich weiß gar nicht, warum der Rennsteig ein so begehrter Wanderweg ist. Es gibt schöne Stellen, aber insgesamt ist er wenig abwechslungsreich.
Erst am späten Nachmittag, schon nach fünf Uhr, öffnet sich endlich der Wald. Vor uns, auf einem Hügel, liegen die ersten Häuser von Neustadt. Es ist ungewohnt hell plötzlich, jetzt, wo der dunkle Wald zurückbleibt, und es ist ein ganz anderes Wandergefühl auf dieser großen freien Fläche, auf deren höchste Erhebung wir zuwandern.
In Neustadt gibt es einige Cafés. Natürlich kehren wir in eines ein, die Soljanka ist längst verdaut. Ich habe Schmacht auf Süßes – waren ja auch anstrengende 14 Tage, und man könnte sich eigentlich belohnen. Ich gönne mir ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte und einen Pott Kaffe. Ich könnte gut ein zweites hinterherschieben und dann noch ein Stück von der Zitronenschaumtorte. Aber das lasse ich besser. Gebe ich jetzt nach, futtere ich, bis mir der Magen schmerzt, und dann ist es vorbei mit dem Laufen. Da kenne ich mich.
Wir überlegen, ob wir hier eine Unterkunft suchen oder weiter wandern und draußen übernachten sollen. Bis Masserberg, dem nächsten Ort, sind es 14 Kilometer. Das schaffen wir nicht mehr. Ein Stückchen wollen wir aber noch laufen. Also werden wir uns ein Plätzchen im Freien suchen und auf die Schlafplatzpirsch begeben, zuvor Wein und belegte Brötchen organisieren. Gesagt, getan.
Nach weiteren fünf Kilometern stoßen wir linker Hand auf eine Wiese, die sich weit genug von der Landstraße entfernt. Sie ist leicht abschüssig, endet aber am Wald in einem ebenen Streifen. Knapp 700 Meter hoch liegt unser Lagerplatz. Es könnte also kühl werden heute Nacht, aber inzwischen sind wir ja einiges gewohnt.
Wir suchen uns eine möglichst ebene Stelle, um während des Schlafens nicht ständig von der Matte zu rutschen. Es riecht phantastisch nach Kräutern – ein balsamischer Duft nach Dill, Anis und Kerbel. Beim Niederlassen entdecke ich das Kraut, das an vielen Stellen die Wiese bedeckt. Es ist Bärwurz, wie ich später herausfinde. Den Schnaps habe ich schon einige Male getrunken, das Kraut aber noch nie gesehen, geschweige denn auf ihm geschlafen.
Der Abend liegt warm über dem Land. Wir sitzen gerüstet für die Nacht in der späten Sonne auf unseren Matratzen und genießen in vollen Zügen die wunderbare Stimmung, den Wein und die Freiheit dieses ungebundenen, abenteuerlichen Lebens. Der Tag hatte nicht viel zu bieten, aber diese kurze, innige Zeit am Lager macht alles wieder wett.
V OM GEWITTER ÜBERRASCHT
MITTWOCH, 14. MAI
SCHWALBENHAUPTWIESE – HINTER SCHALKAU (BAYER. GRENZE), 31 KM
Gegen halb sieben ist die Nacht zu Ende. Mein lieber Wanderbruder bückt sich bereits in voller Montur über seinen Rucksack und stopft den Schlafsack hinein. Die Wiese glitzert in der Morgensonne wie ein diamantener Teppich. Abertausende Tautröpfchen haften an den Gräsern, brechen das Licht und reflektieren die Strahlen der Sonne. Wir liegen noch im Schatten, es ist ziemlich kühl. Mein Thermometer zeigt diesmal vier Grad Celsius, und so habe ich mich auch gegen Morgen gefühlt, trotz langer Unterhose und Skiunterhemd. Es war die letzte Nacht der Eisheiligen.
Ich benetze mein Gesicht mit frischem Tau, verspeise einen Müsliriegel und etwas Traubenzucker und ziehe mich an. Eine halbe Stunde später sind wir auf der Piste. Wir wandern im Schatten der Bäume in einen schmalen Hohlweg hinein. Es ist kühl. Der Weg führt scharf aufwärts. Ohne Frühstück ist das eine echte Herausforderung, zumal Baumwurzeln, Furchen und Fels das Vorankommen erschweren. Schweigend und auf den Pfad konzentriert stapfen wir hintereinander bergauf – mit rotem Schädel und pulsierenden Schläfen. Der morgendliche Frieden und die Urwüchsigkeit der Landschaft gehen uns am Arsch vorbei, einem Arsch, in dessen Ritze sich der Schweiß sammelt und mir bereits am frühen Morgen einen Wolf beschert. Ich kämpfe gegen eine plötzlich aufkommende Unterzuckerung an, nehme Traubenzucker, und
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