Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
schwabbeln in einem schwäbisch-hessischen Dialekt, als wenn niemand außer ihnen hier säße.
„Ei, das Glöckle, habt ihr’s gehört? Direkt nebe dem Ohr hot’s getönt. Isch han nedd schlafe könne, de ganse Nacht nedd“, tönt die eine, und eine andere bekräftigt:
„Gell, wie die Bumbesje dorch de Hos, so kam’s dorsch’s geschlossene Fenster.“
So geht es auf und ab, immer um dieses Glöckle, das Schlagen der Turmuhr einer Kirche, die neben dem Hotel auf einem Hügel steht. Ich habe das Gefühl, dass der Frühstücksraum brechend voll ist, so viel Lärm machen diese 65- bis 70-jährigen dauergewellten Damen. Dann betritt ein wahrer Kawenzmann an Weib die Bildfläche, rollt auf die dicken Frauen zu und dröhnt: „Auf, auf, der Bus ist schon lang da, ihr seid die Letzten!“
Mit gewaltigem Gepolter erheben sich die Angesprochenen und walzen lärmend aus dem Saal.
So furchen sie denn weiter mit ihren Bussen durchs Land, die Senioren. Fallen lautstark in die Gasthäuser ein und mästen sich morgens, mittags, nachmittags und abends, und zwischendurch vertreten sie sich an irgendwelchen Kulturdenkmälern oder Touristenevents die Beine. Meine Güte, denke ich, du wirst doch hoffentlich nicht in sieben, acht Jahren auch auf diese Art und Weise deine Zeit totschlagen. Ich habe nichts gegen Rentner, aber geballt auf einen Haufen muss ich sie nicht jeden Tag um mich haben. Ich weiß ja selber, wie eigensinnig und unflexibel man mit zunehmendem Alter werden kann.
In himmlischer Ruhe beenden wir unser Frühstück und starten dann in den neuen Tag. Es ist kühl, ein leichter Nieselregen geht nieder. Mit Anorak und Regenhose bekleidet suchen wir in dem Städtchen nach einem Zugang zu unserem Treck, starren auf das Navi, drehen uns im Kreis, laufen hierhin und dorthin. Die wenigen Bürger, die wir treffen, geben ziemlich unklare Informationen. Schließlich entscheiden wir uns für einen schmalen Weg, der durch den Wald auf die Höhe führt. Irgendwo da oben verläuft unsere Route. Sicher sind wir uns aber nicht, dass dieser Pfad dorthin führt. Der Anstieg ist rutschig und beschwerlich. Plötzlich tönt ein dünnes Stimmchen seitlich aus dem Off: „Jungs, wo wollt ihr denn hin?“
Erst beim zweiten Hinblicken erkennen wir ein Holzhäuschen, das über die Jahre die Farbe des Waldes angenommen hat. Aus dem kleinen Fenster im oberen Stockwerk lugt ein Kopf. Ein verwittertes Gesicht, umrahmt von einem grauen Bart, schaut zu uns herüber. Donnerwetter, denke ich, das ist ja mal ein richtiges Hexenhaus.
„Wir suchen den Frankenweg“, ruft Martin.
„Ah ja, ah ja, da seid ihr richtig. Ihr müsst nur geradeaus – hoch hinauf und oben rechts, unbedingt rechts.“
„Danke, auf Wiedersehn“, verabschieden wir uns und steigen weiter.
Wenig später raschelt es hinter uns, und ein spindeldürres Männlein mit einem Rauschebart eilt auf krummen Beinen in Pantoffeln hinter uns her.
Fürwahr, jetzt haben wir Rumpelstilzchen getroffen. Gleich hüpft es auf einem Bein, verrät uns seinen Namen und bringt uns zu Hänsel und Gretel ins Hexenhaus. Stattdessen lächelt es freundlich und sagt: „Ich zeig’ euch besser den Weg, da oben ist es nicht ganz einfach“, und marschiert vorweg.
Mit seinen krummen Beinchen, den Pantoffeln an den Füßen und dem wippenden Bart bewegt sich das Männlein wie ein flinker, kleiner Zwerg den Hang hinauf. Zwischendurch bleibt es stehen, verschnauft sich und sagt: „Lasst euch Zeit, lasst euch Zeit“, meint aber eher sich selber.
Es hört gar nicht mehr auf, mit uns zu klettern. Nach einer Weggabelung verabschiedet es sich endlich, geht ein Stück zurück und kehrt dann doch noch mal um, um uns so lange zu begleiten, bis es die Wegemarkierung erkennen kann.
„Da oben, Jungs, müsst ihr rechts – es ist ein wunderschöner Weg. Glückauf und habt einen schönen Tag.“
Spricht’s und steigt wieder hinunter. Wir sind geplättet von so viel Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, die da so früh am Morgen auf Pantoffeln daherkommt.
„Leb wohl, guter Mann“, rufe ich noch hinterher, doch er ist bereits verschwunden und antwortet nicht mehr.
Das Männlein hat uns nicht zu viel versprochen. Wir geraten auf einen verzauberten Weg. Zwischen hohen Dolomitfelsen und alten Baumbeständen führt er entlang. Tiefgrünes Moos und Farn bedecken den Boden und zum Teil auch die Felsen. Manchmal drängen sie sich bis auf wenige Zentimeter an uns heran und ragen 20, 30 Meter senkrecht in die
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