Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
Vom Netzwerk:
erheben. Beinahe ehrfürchtig angesichts des zehntausende Jahre alten Weges wandern wir durch das Tal und gelangen an seinem Ende in einen Wald.
    Die Route führt stetig abwärts, bis sie in Heroldsmühle wieder auf freies Gelände stößt. Ein riesiges, altes, moosbewachsenes Mühlrad bedeckt nahezu die gesamte Fläche einer Hauswand und dreht sich gemächlich um seine Achse, angetrieben von der munter plätschernden Leinleiter. Es hat einen Durchmesser von 7,20 Meter und gilt als das größte Deutschlands. Heroldsmühle ist ein lauschiges Plätzchen. Ein Wohnhaus und die zum Restaurant umgebaute Mühle, umgeben von Wald und einer Feuchtwiese, mehr gibt es hier nicht. Wir lassen uns nieder. Eine fröhliche Gruppe am Nebentisch hat mächtig Spaß und offensichtlich schon einige Biere intus. Sofort stehen zwei Schwarzbier auf unserem Tisch, und mit Hallo, Gesang und Sprüchen werden wir begrüßt.
    „Kennt ihr den Unterschied zwischen Bumsen und Blasen?“, fragt uns ein Typ mit einem gewaltigen Zwirbelbart.
    Betretenes Schweigen unsererseits.
    „Ja mei, ihr seids doch Wanderer. Habt ihr schon mal Bumsen an den Füßen gehabt?“
    Gelächter und Schenkelklopfen am Tisch gegenüber. Aber auch wir lachen befreit auf. Ich habe echt befürchtet, die Truppe kennt keine Hemmungen mehr und führt uns jetzt mit schweinischen Witzen vor. Doch die Typen sind einfach nur gut drauf, fragen uns nach dem Woher und Wohin, machen tausend Vorschläge für den weiteren Weg durch die Fränkische Schweiz und wollen uns dauernd überreden, mit ihnen zu trinken. Setze dich niemals nüchtern zu einer besoffenen Gesellschaft! Den Spaß haben nur die anderen. Also nehmen wir Abschied, um die letzte Etappe des heutigen Tages anzugehen.
    Ein Wesensmerkmal einer längeren Wanderung ist die Unberechenbarkeit des Weges und die mit ihr einhergehenden, jähen Wechsel emotionaler Stimmungen. Das ist nun nicht mehr neu, aber es ist immer wieder beeindruckend, wie plötzlich das geschieht.
    Wir laufen jetzt oberhalb eines Tales, und immer wieder schweift das Auge in die Ferne oder nach unten an den Abhang, wo das Leuchten gelbblühender Pflanzenmatten an hervorstehenden Felsen den Blick einfängt. Es ist einfach nur schön, und die Müdigkeit ist wie weggeblasen. Jenseits eines Feldes, auf einem bewaldeten Hügel, erhebt sich weit sichtbar Schloss Greifenstein oberhalb von Heiligenstadt.
    Wir erreichen das Städtchen um halb sieben, beziehen in einem kleinen, feinen Hotel an der Leinleiter für verhältnismäßig wenig Geld zwei großzügige Zimmer und genießen das hervorragende Essen und das fränkische Bier.
    Ende gut, alles gut an diesem zwiegespaltenen, eher kühlen Maientag. Ein Hauch von Alltag blitzte heute auf und deutete an, dass sich alles irgendwann verbraucht, jeder Reiz sich erschöpft und seinen Glanz verliert, alles Neue sich ins Gegenteil verkehrt. Jedes Ding hat seine Zeit, und ich ahne, dass es auch so mit dem Wandern ist.

D IE S ACHE MIT G OTT
    MONTAG, 19 MAI
HEILIGENSTADT – BEI ENGELHARDSBERG
(FRÄNKISCHE SCHWEIZ), 26 KM
    Schon am frühen Morgen macht mir der linke Hacken Probleme. Eine Blase hat sich unter der Hornhaut gebildet und ist mit Blut und Sekret gefüllt. Irgendwann werde ich in die Hornhaut schneiden müssen, um die Flüssigkeiten ablaufen zu lassen und damit den Druck zu nehmen. Es waren gestern doch einige Höhenmeter und Abstiege mehr als sonst, ungewohnt für unsere Füße und Gelenke. Aber wir wandern ja nun auch bereits seit drei Wochen, und die Dauerbelastung zeitigt jetzt doch ernsthaftere Blessuren. Mal sehn, ob sich das beim Laufen heute zurechttritt.
    Dennoch habe ich gut geschlafen und mache mich auf zum Frühstück. Mein Wanderbruder sitzt bereits an einem der Tische und schaufelt sich Rührei mit kleinen, fränkischen Würstchen rein, die wie abgeschnittene Finger aussehen.
    Ich schütte mir erst mal ein Glas Orangensaft über die Hose, und bei der hektischen Säuberungsaktion gleitet mir obendrein noch der Wurstteller auf den Schoß. Die klebrigen Wurstscheiben pappen an der Hose fest, fallen selbst dann nicht ab, als ich aufstehe, um die ganze Sauerei zu begutachten. Fünf dicke Damen am Nachbartisch beäugen mich kritisch, sagen aber nichts. Ich pule die Wurst ab und säubere mich anschließend notdürftig auf der Toilette. Wechseln kann ich die Hose nicht, ich habe nur diese eine. Betont locker kehre ich in den Speiseraum zurück, aber die dicken Frauen beachten mich nicht mehr. Sie schwätzen und

Weitere Kostenlose Bücher