Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Höhe. Dann wieder betreten wir einen Platz, der von Dolomitwänden umschlossen ist. Nur ein schmaler Durchgang am anderen Ende ermöglicht das Weiterkommen. Uralte, flechtenbehangene Bäume ragen mit ihren Kronen über den Rand des Kessels hinaus, und auf seinem Grund modert morsches, pelziges Holz. Es ist kühl und feucht hier unten, herrlich wild und düster, geheimnisvoll und schattengleich wie in der Welt der großen Sagen.
Nach jeder Wegbiegung bietet sich ein anderer Anblick. Wir gelangen auf ein Plateau und betreten eine Kirche. Grün, braun, grau schimmert ihr Inneres, und von oben erschallt der liebliche Gesang eines vielstimmigen Chores.
Wie schon einmal zuvor befinde ich mich in einem Raum, den der Wald geschaffen hat. Ein schmaler, von hohem Buschwerk begrenzter Durchgang bildet das Tor und führt auf eine Lichtung, auf der einige wenige gewaltige Baumriesen stehen. Ihre Stämme ragen wie Säulen gen Himmel und formen mit ihren mächtigen, ausladenden Kronen eine Kuppel. Um jene Baumriesen herum bildet der Wald eine undurchdringliche Mauer, und der Gesang der Vögel ist plastisch und von ungeheurer Präsenz. Ab und zu geht ein Wind durch die Wipfel und verändert das Licht.
Etwas Ewiges schwebt über der Lichtung, das ich nicht fassen kann und doch möchte. Ich spüre es, aber es offenbart sich mir nicht und erzeugt dennoch einen Frieden, der mich gänzlich ausfüllt und das heftige Verlangen nach Gewissheit jenes Unbestimmten, Unerklärbaren besänftigt. Schon ist es vorüber. Was bleibt, ist die Sehnsucht als Nachklang einer tiefen inneren Berührung.
Ich glaube nicht an den Gott der Christen oder den anderer Religionen. Aber ich begnüge mich auch nicht mit dem Zufall, dem alle Welten ihr Entstehen verdanken sollen, denn damit ist nichts geklärt.
Die Vorstellung von einem immerwährenden Werden und Vergehen unzähliger, paralleler Universen oder von einem seit Ewigkeiten sich zusammenziehenden und wieder ausbreitenden Universum, das zufällig irgendwann die richtigen Bedingungen zur Entstehung von Leben enthält, entledigt uns nicht der Erklärung, wer oder was denn die Materie und Energie geschaffen hat, die sich dann auf diese Weise verhält. So fragen wir Menschen nun mal. Ohne Anfang und Ende erscheint uns alles unbefriedigend, und gleichzeitig ist die Frage nach dem Anfang vom Anfang und dem Ende vom Ende der nächste Schritt. Endlichkeit und Unendlichkeit bleiben für unser Begreifen ein ständiges Rätsel und sind zwei Seiten einer Medaille.
Die Sache mit Gott ist nicht einfach. Ich habe mich entschieden, dass irgendetwas Unbegreifliches als Quelle der Existenz über allem steht. Es muss völlig anders sein als alles, was wir je erforschen können, keinen von uns fassbaren Gesetzen gehorchend. Denn wenn diese Quelle ein Teil des Existierenden ist, kann sie nicht der Grund für die Existenz von allem sein. Um sich von diesem Unvorstellbaren ein Bild zu machen, schafft der Mensch die Inhalte von Religionen, rankt Mythen und Legenden um große Propheten, erhebt sie zu Göttern, und deren Lehren bilden die Grundlage des jeweiligen Glaubens.
Es ist allemal tröstlicher zu hoffen, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, als anzunehmen, dass gar nichts passiert, und es stimmt auch nachdenklich, dass nach einer unglaublich langen Entwicklung schließlich der Mensch auf den Plan trat, um u. a. die Frage nach dem Sinn der Existenz und nach Gott zu stellen.
Die Evolution hat den Menschen aus der Unmündigkeit entlassen und ihm neben seinen intellektuellen Fähigkeiten das Vermögen zur Transzendenz, zum Überschreiten der Grenzen des Bewusstseins und der Erfahrungen des Alltags mitgegeben als ein lebenswichtiges Element zur Bewältigung seines Daseins, als Gegenstrategie zur Bewusstwerdung seiner Vereinzelung und einer damit verknüpften Einsamkeit. Die Religionsfähigkeit des Menschen ist sozusagen eine biologische Eigenschaft, ein Wesensmerkmal der Gattung Mensch, ein Schutzmechanismus. Wohl dem, dem sein Glaube an ein ewiges Leben nach dem Tode angesichts der Vergänglichkeit allen Seins tröstet.
Frieden und Gelassenheit angesichts des Todes finden wir nur in der Vorstellung einer vom subjektiven Glauben geprägten Sichtweise, und wie dieser Glaube gestaltet ist, spielt keine Rolle. Die Vorstellung von einem ewigen Schlaf durchsetzt mit Träumen ist nur eine von vielen ganz persönlichen Ansichten.
Auch wenn wir meinen, nicht religiös zu sein, enthebt uns das nicht der Frage nach dem Sinn
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