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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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wieder geheiratet, lebe aber inzwischen in Scheidung weit weg von hier, und im Übrigen sei die Ehe sowieso der Tod der Liebe.
    Ein Zurück in ihre Heimat gebe es nicht mehr, da ihre Wurzeln dort verkümmert seien, und hier habe sie eigentlich auch nichts mehr verloren, aber was bleibe ihr denn auch übrig, als einfach weiterzumachen.
    Sie zuckt resigniert mit den Schultern, hebt das Glas und sagt: „C’est la vie. Was soll man machen.“
    Ein Lächeln huscht kurz über ihr Gesicht, und für einen Moment sehe ich sie jung, hübsch und lebensfroh vor mir. Zum Greifen nah sind ihr Bedürfnis nach Veränderung und ihr Hunger nach Leben.
    Eine Weile bleiben wir noch, dann machen wir uns wieder auf den Weg mit einem faden Nachgeschmack der Bitternis von Unzufriedenheit und Resignation, den die Begegnung mit dieser Frau hinterlässt.
    Das Marschieren ist anstrengender geworden. Es geht auf und ab, und die ungewohnten Höhenmeter fordern uns. Hunger stellt sich ein, die Suppe war doch recht dünn.
    In einem weiteren winzigen Örtchen finden wir auch dieses Mal eine Gaststätte und erleben eine Überraschung. Jeder Tisch ist besetzt. Die Luft ist stickig und dröhnt vom Stimmengewirr der vielen Menschen. Eine Wallfahrtsgesellschaft ist hier eingekehrt, und nur für deren Bewirtung hat man geöffnet. Glück gehabt. Außer dicken, fränkischen Bockwürsten mit Senf und Weißbrot gibt es nichts zu essen. Der Hunger wird’s schon richten, denke ich mir und bestelle das Zeugs. Mit dem stumpfen Messer komme ich nur schwer durch die dicke Pelle. Ich säbele und säbele, drücke und drücke, bis das Stück Fleisch vom Teller auf den Tisch ploppt. Widerwillig schiebe ich es mir in den Mund. Es fühlt sich an wie Schaumgummi. Nach wenigen Bissen haben ich genug und biete Martin den Rest an. Mit Genuss und Wonne vertilgt er die dicken, fetten Würste. Mir bleibt nur die Hoffnung auf eine anständige Mahlzeit am Ende des Tages in Heiligenstadt.
    Die Melancholie des Vormittags will sich nicht aus der Landschaft lösen. Ein verhangener Himmel liegt über den bewirtschafteten Feldern und Fichtenwäldern – einem Standardbild, dem man überall in Deutschland begegnet. Ich fühle mich das erste Mal ein wenig einsam und stapfe schweigsam neben Martin her, den Blick mehr nach innen als in die Umgebung gerichtet. Diese Art zu wandern, mit wenig Ablenkung und mangelnden Highlights, macht müde und aufmerksam auf die Befindlichkeiten des Körpers. Man spürt die geschundenen Füße, den Rucksack auf den Schultern, hasst den Weg, der sich endlos vor einem ausstreckt, und sehnt sich nach dem Ende der Etappe. In solchen Situationen ist das Laufen wie eine lästige Arbeit, die man lustlos erledigt. Aber eine Streckenwanderung birgt eben auch solche Abschnitte, und man kann nichts anderes tun, als gegen den aufkommenden Frust und die physischen Probleme anzulaufen. Das sind die Momente, wo man den inneren Schweinehund überwinden muss, damit einem nicht die Motivation abhandenkommt und die Erschöpfung sich in deinem Hirn einnistet und keinen Raum mehr für positive Gedanken lässt.
    Die Zeit dehnt sich und der Nachmittag will nicht enden. Der öde Weg legt sich wie ein Schatten auf meine Stimmung. Ich habe das Gefühl, davonzutreiben und mich in unserem kleinen Universum zu verlieren, abgeschnitten von der Welt. Sehnsucht nach meiner Frau und nach Gesellschaft keimen auf, ich bin Lichtjahre entfernt von beidem.
    Auf einer Anhöhe rasten wir auf einer Bank. Still dasitzen und schauen, mehr will ich nicht. Doch mir fallen die Augen zu, und für einen Moment schlafe ich ein. Danach fühle ich mich besser. Nicht, dass ich jetzt Bäume ausreißen könnte, aber das Stimmungstief ist überwunden und alles nur noch halb so schlimm. Auch die Gegend hat sich geändert. Wir laufen jetzt in einem ausgetrockneten, von hohen Uferböschungen begrenzten Flussbett. Wie eine uralte Straße schlängelt es sich durch die Landschaft. Tatsächlich befinden wir uns in einem Trockental, einem Flussbett, das kein Wasser mehr führt, weil es über Jahrtausende in dem porösen Sediment buchstäblich versickerte. Nur nach starken Regenfällen sprudelt es aus der Erde, und das Trockental kehrt für eine kurze Weile zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück. Die Böschungen sind mit Buschwerk und Gras bewachsen. An manchen Stellen bricht der Kalkstein durch die dünne Humusschicht und bildet raue, schrundige Felsformationen, über die sich dunkle Fichten und Kiefern

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