Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
unseres Lebens, und wir sollten wissen, dass wir ohne diese Frage schlecht zurechtkommen. Aber es ist nicht nur die Suche nach Trost und dem Sinn unserer Existenz, welche uns treibt, sondern auch und gerade die Suche nach Einklang und Harmonie mit sich und der Welt.
Wenn man glaubt, dass die Seele das Wesentliche der Identität eines Menschen ist – ein immaterielles Prinzip, welches den Tod des Körpers, seine Hülle, überdauert, doch dann nicht mehr in dieser Welt sein kann, weil es seiner Materialisierung verlustig gegangen ist und somit Abschied nimmt, um sich anderswo wiederzufinden, wie auch immer –, so ist das eine tröstliche Vorstellung. Mit der Bestattung der Toten ritualisieren wir diesen Glauben, und er hilft uns. Ist es nicht so, dass wir ohne dieses Ritual mit einer kaum zu ertragenden Bürde leben würden, so als wenn wir den Verstorbenen allein ließen und ihn nicht zu Beginn seiner endlosen Reise begleiteten und uns verabschiedeten, in der stillen Hoffnung, gehört zu werden?
Wenn ich all dies zusammen betrachte, dann bin ich in diesem Sinne auch ein gläubiger Mensch.
Gegen Mittag stehen wir auf dem Hummerstein, einem herrlich gelegenen Platz oberhalb der Stelle, wo das Leinleitertal in das Wiesenttal führt. Die vorgeschobenen Dolomitfelsen formen eine Kanzel und fallen an ihren Rändern 20, 30 Meter schroff ab, bis zu einem Abhang, der dann sanft ins Tal gleitet. Die Sonne hat sich durch die Wolken gekämpft, erwärmt die Luft und bringt die Farben zum Leuchten. Ich lasse mich auf einem der vordersten Felsen nieder, lehne mich gegen den Rucksack und genieße die Aussicht über das Tal hinweg hinüber zu den angrenzenden Bergen. Was für eine wunderschöne, abwechslungsreiche Landschaft die Fränkische Schweiz ausmacht und wie viel Freude das Wandern mir hier bereitet. Es geht mir gut, ich bin zufrieden, selbst meine lädierte Ferse scheint beeindruckt und hat sich beruhigt. Wie selten lässt man so entspannt den Zauber der Natur auf sich wirken und bekommt zu spüren, wie wohl dieses stille Schauen tut.
Ich beobachte meinen Wanderbruder, der sich hinten am Waldrand an einem Holztisch aufhält und an seinen Klamotten herumfummelt. Naturerlebnisse scheinen ihn nicht so sehr zu berühren, es sei denn, sie kommen gewaltig daher. Anfänglich hat mich das gestört, weil ich meine Begeisterung gerne mitteile und die erhoffte Resonanz aber ausblieb, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Er lässt mir meine Zwiesprache mit der Natur und beschäftigt sich derweil anderweitig.
Wir sind unglaublich verschieden. Unser gemeinsames Interesse ist die Musik und das Wandern, aber der Zugang zu beidem ist unterschiedlich. Doch manchmal führt uns der gemeinsame Weg zueinander, insbesondere an den Abenden am Lager im Freien. Es ist dieses großzügige Maß an Freiheit und Unbelastetheit, welches uns die Wanderung schenkt und das wir beide gleichermaßen genießen, auch wenn es des Öfteren hart ist. Drei Wochen sind wir nun eng beieinander und vor allem überwiegend allein, wie ich es nicht mal mit meiner Frau über einen solch langen Zeitraum bisher gewesen bin. Erstaunlich, wie gut wir zurechtkommen.
Nach einer längeren Pause steigen wir ins Tal hinunter. Es wird Zeit für ein Süppchen im nächsten Ort. Aber dort ist alles verriegelt und verrammelt. Die Gaststätte hat Ruhetag, der Fleischer hat zu, der Bäcker hat zu, nur vorn an der Straße wird Schnaps verkauft. Na denn, prost. Es bleibt uns nur weiterzuzuckeln, fünf Kilometer, bis nach Muggendorf, und es ist bereits drei Uhr nachmittags. Ich fische mir einen deformierten Powerriegel aus meiner Bauchtasche und trinke lauwarmes Wasser, damit ich die klebrige Paste – geballte Pampe mit Banane – überhaupt hinunterbekomme.
Wir forcieren unbewusst das Tempo und donnern nun die Landstraße entlang, marschieren fast im Stechschritt in Muggendorf ein, waren schon nahe dran, einen Triebwagen zu überholen. Und wir haben Glück: Hier gibt es ein Gasthaus.
Meine bescheidene Mahlzeit besteht aus Leberknödelsuppe mit Brot, wohingegen Martin heute richtig zulangt: Käsespätzle mit Röstzwiebeln und Salat. Er isst halt gerne und meist zu viel, aber heute verzichtet er auf den Nachtisch.
In einem kleinen Lebensmittelmarkt versorgen wir uns für den Abend und ziehen, jeder mit einer Flasche rotem Frankenwein und den obligatorischen Brötchen bepackt, weiter, um uns irgendwo da draußen ein Plätzchen für die Nacht zu suchen. Es geht steil bergan.
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