Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Ein felsiger Pfad führt uns über Stock und Stein durch den Laubwald immer höher hinauf, vorbei an dunkelfeuchten, bemoosten Felswänden und den mächtigen Stämmen gewaltiger Buchen, die sich mit ihren ausladenden Wurzeln in den steilen Grund krallen. Die Sonne fällt schräg auf den Hang, und ihre Strahlen verbreiten bereits etwas von dem goldenen Abendschimmer, welcher das Licht so weich und samten macht. An einer Stelle tritt der Weg aus dem Wald heraus und lässt einen herrlichen Tiefblick in das Wiesenttal zu, bevor er wieder in den Schummer des Forstes zurückführt und in eine Felsenhöhle mündet, wo er von der Dunkelheit vollends verschluckt wird. Schon nach wenigen Metern ist es um uns herum pechschwarz. Die von uns verursachten Geräusche klingen merkwürdig trocken, jeder Widerhall verliert sich in der Finsternis. Ohne Taschenlampe geht es nicht weiter.
Ein paar Kurven müssen wir schlagen, bevor uns die Höhle wieder freigibt. Ebenso verzaubert wie zuvor führt der Steig weiter hinauf, bis wir das Hohe Kreuz erreichen und auf einem Ausguck einen weiten Blick nach Norden haben, hinüber noch bis zu den fernen Höhen des Thüringer Waldes. Unter uns ein Meer sattgrün leuchtender, endloser Felder, darin die weiten, tiefen Wälder den Glanz von dunklen Riffen tragen und aus dem wie Inseln die roten Dächer verstreuter Dörfer ragen. Stummes, magisches Land, über das nur der Wind und der inbrünstige Gesang der Lerchen stehen.
Wir steigen hinab und stoßen an einem Hang auf die moderne Welt. Mit gespreizten Beinen steht über einem Graben ein stählerner Koloss, ein Bagger. Sein eiserner Greifarm ruht mit der Grabekralle auf dem Grund der aufgerissenen Erde, um ihn herum ist alles verwüstet. Geröll, riesige Sandhaufen, umgerissene Bäume versperren den Weg und haben den Zauber unter sich begraben. Was dieses wütende Reißen bezwecken soll, erschließt sich uns nicht. Wir müssen da runter, unser Navi lässt uns keine Wahl. Es gibt auch keine Ausweichmöglichkeiten durch den Wald. Er steht zu dicht und fällt steil und unwegsam ab. So quälen wir uns mühsam hinab, marschieren zum Teil im Graben, dann wieder an seinem Rand über Sand- und Felshaufen hinweg, stolpern über Äste und rutschen in der durchweichten Erde aus. Am Ende hangeln wir uns am Waldrand von Baumstamm zu Baumstamm, immer in Gefahr, den Abstieg nicht mehr abbremsen zu können. Verschwitzt und verdreckt, mit Schrammen an den Waden gelangen wir schließlich an den Fuß des Hanges und sind erst einmal bedient.
Jetzt wird es Zeit für ein geeignetes Plätzchen zum Ablegen. Doch die Suche zieht sich hin wie an all den Abenden zuvor. Es ist wie beim Checken einer geeigneten Wohnung. Die eine ist zu laut, die andere zu alt, die dritte zu dunkel oder der Balkon hängt an der falschen Seite. Das ist richtig Arbeit und gehört inzwischen zu unserem Wanderalltag. Schließlich wollen wir es ja auch ein bisschen schön haben.
Wir streifen ein bereits in tiefen Schlaf versunkenes Dorf und laufen über einen leicht ansteigenden Feldweg am Rande eines Forstes auf den querverlaufenden Laubwald zu. Linker Hand eine eingezäunte Wiese, die sich bis zum Saum des Waldes den sanften Hügel hinauf streckt. Hier soll es sein. Wir klettern über den Zaun und finden am Ende der Wiese, direkt am Wald, unseren Nachtplatz.
Die Rucksäcke gleiten herunter, und mit einigen Schritten und prüfendem Blick machen wir uns mit unserem Quartier vertraut. Nach wie vor liebe ich diesen ersten Moment der Kontaktaufnahme mit der Umgebung unseres Lagers und genieße die Vorfreude auf den Wein, das erste Zigarillo, die belegten Brötchen und das Verschmelzen mit der Abendstimmung über dem Land.
Wir haben es wieder gut getroffen. Es ist einsam und friedlich. Ein paar hundert Meter entfernt, in der Senke, sieht man noch zwei Häuser, dahinter einen Höhenzug, über dem dunkle, jetzt von der Sonne beschienene Wolken liegen. Kupfern ergießt sich das Licht ins Tal, und vor dem dunklen Wald und den dunklen Wolken leuchtet es wie in einem Zimmer voller Kerzen. So tauchen wir ein in einen wundervollen Abend, und die Stille und Abgeschiedenheit dehnen sich und wachsen mit der zunehmenden Dämmerung. Zum Schluss ist die Welt voller Schatten und Geheimnisse.
Martin schnarcht schon wie ein Grizzly, und für mich wird es auch Zeit, die Augen zu schließen. Meine letzten Gedanken gehen zu meinem Weib – ich verspüre Sehnsucht und Verlangen, doch der Schlaf übermannt mich und
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