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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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der Hoffnung auf ein gigantisches Frühstück und darauf, dass der Himmel aufreißt und der Frühling wieder Einzug hält.
    Es ist totenstill, die diesige Feuchtigkeit schluckt jedes Geräusch, selbst die Vögel haben sich verkrochen. Der Blick geht in schwere, dunkle Wälder und über nasse, sich im Nieselschleier verlierende Felder. Ab und zu ein Dorf. Geduckt und müde liegt es zwischen den Äckern. Bergauf, bergab wandern wir mit leerem Magen und leerem Kopf durch kühlverregnetes deutsches Land. So kann es auch sein. Und dann läuft man gegen den Hunger, gegen die Müdigkeit, gegen die Lustlosigkeit und eine aufkommende Melancholie an. Fast zweieinhalb Stunden sind seit dem Aufbruch heute Morgen vergangen. Die Beine bewegen sich mechanisch, alles andere befindet sich im Standby-Modus.
    Endlich erreichen wir Obertrubach, und das Paradies tut sich auf – mit einer Zweigstelle göttlicher Köstlichkeiten in einem Gasthof. Für sechs Euro dürfen wir uns über das Frühstücksbuffet hermachen. Es bietet alles, was der Magen begehrt, und wir langen ausgehungert zu. Nach zwei Übernachtungen im Freien und dem Sauwetter heute Vormittag fühlen wir uns wieder mal wie Abenteurer, die aus der Wildnis kommend auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation treffen.
    Neugierig werden wir von den Gästen, einer Wandergruppe, beäugt und sind schon bald in ein Gespräch verwickelt.
    Als sie erfahren, dass wir durch Deutschland wandern und schon so lange unterwegs sind, behandeln sie uns beinah wie Gurus, mit Bewunderung und Respekt, aber auch mit dem Anspruch teilzuhaben. Sie interessiert der Weg, wie wir miteinander auskommen, wie viel wir mitschleppen, ob ich meine Erfahrungen aufzeichne, und insbesondere, was es mit dem GPS-Gerät auf sich hat. Seit drei Wochen habe ich nicht mehr mit so vielen Menschen gesprochen. Aber lieber noch würde ich in Ruhe frühstücken und mich ganz dem Genuss und der Entspannung hingeben.
    Gestärkt und doch etwas müde brechen wir bald wieder auf. Kühl ist es immer noch, mich fröstelt. Nun, inmitten unserer Wanderung, haben wir einen kalten, nassen, abweisenden Tag erwischt. Jetzt gilt es, einfach nur zu laufen, sich einzugrooven auf einen Rhythmus, der von innen kommt, unabhängig ist von dem, was um einen herum passiert. Das ist gar nicht so einfach. Der Regen und die schweren, grauen Wolken drücken aufs Gemüt, und gesprächig sind wir auch nicht gerade. So tapern wir schweigend durch den verhangenen, feuchten Maientag, bis ohrenbetäubender Lärm uns aus unseren Grübeleien reißt. Wir haben einen kleinen Ort erreicht. Am Ortseingang stehen Bagger, reißen die Erde auf, röhren, stinken nach Öl; drehen und wenden ihre Körper, bewegen die Hälse unruhig auf und ab, graben sich mit ihren nimmersatten Mäulern tief ins Erdreich und speien die unverdaute Masse neben sich wieder aus. Es sind die modernen Dinosaurier, die Nachfolger jener vor Millionen Jahren untergegangenen Spezies, die uns nicht das erste Mal begegnen: vor zwei Tagen im Wald mit gespreizten Beinen über einer klaffenden Wunde im Erdreich kauernd, ratternd und knarrend in jener blutenden, endlosen Schneise vor Coburg, als wahre Monster an der halbfertigen Brücke über den Froschgrundsee und immer wieder in den Städtchen und größeren Ortschaften als gefräßige Erdfresser beim Ausheben von Gräben und Gruben.
    In Deutschland wird gewerkelt, was die Maschinen hergeben. Nicht nur in den Hobbykellern des deutschen Mannes, sondern eben auch auf und in den knappen Böden unseres Landes. Rohre und Leitungen werden verlegt, Häuser und Hallen gebaut, Flächen planiert, Straßen gezogen, Tunnel gebohrt und Brücken geschlagen. Es wird kartiert, eingezäunt, Flüsse werden begradigt oder aufgestaut und gigantische Stromleitungen wie grobmaschige Spinnennetze über das Land gelegt. Und wenn die Landwirtschaft mit immer größeren Ackerschlägen den Rest beherrscht, dann bleiben nur noch kleine Zwischenräume für jene Oasen einer halbwegs unberührten Landschaft, in denen der Mensch der Langsamkeit der Zeit und der Vielfalt der Schöpfung nachspüren kann.
    Es wird steiler und anstrengender. Mittlerweile haben wir uns an das schlechte Wetter gewöhnt: zwölf Grad Celsius sind es, und das Nieseln hat nicht aufgehört. Das ist immer so, wenn man sich im Freien bewegt: Irgendwann spürt man den Regen und die Kälte nicht mehr und findet seinen Rhythmus, aber es dauert. Vorausgesetzt natürlich, man ist entsprechend gekleidet.
    Auf der

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