Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Seele wohnt.
Abschüssig und wieder durch Wald geht es hinunter ins Tal zur Wiesent und dem Felsendörfchen Tüchersfelde. Markante, säulenartige Dolomitfelsen überragen um einiges das Dörflein. Wie ausgestreckte Finger recken sie sich in den Himmel – um sie herum die Häuser. Diese Säulen bilden das Wahrzeichen der Fränkischen Schweiz.
Ihren Ursprung nahmen sie in der erdgeschichtlichen Epoche des Jura vor 160 Millionen Jahren, als ein warmes, flaches, tropisches Meer hier den Boden bedeckte. In diesem Gewässer wuchsen über Jahrmillionen Schwamm- und Korallenriffe heran, die später durch chemische Prozesse zu Dolomitgestein umgewandelt wurden. In Senken zwischen den Riffen lagerte sich am Meeresgrund feiner Schlamm ab, der sich zu Kalkstein verfestigte. Am Ende der Jurazeit, vor 140 Millionen Jahren, wurde das Gebiet herausgehoben. Über weitere Jahrmillionen war die Hochfläche starken Verwitterungs- und tiefgründigen Verkarstungsprozessen ausgesetzt. Die härteren Dolomitriffe witterten aus dem weicheren Kalkstein heraus und prägen nun als schroffe Felstürme diese einzigartige Landschaft.
Ja, es ist wirklich schön hier. Verschlungene, enge Täler und tiefe Höhlen, weite, idyllische Hochflächen mit kleinen, fränkischen Dörfern, auf den Höhen Burgen und Schlösser und eine Brauereidichte, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Die Landschaft ist von einer Innigkeit, wie man sie in Deutschland nur noch selten findet. „Auf du junger Wandersmann…“, „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach…“, „In einem kühlen Grunde…“, „Kein schöner Land in dieser Zeit…“, all diese Lieder könnten hier entstanden sein und treffen den Charakter dieser Gegend. Ich fühle mich wie einer dieser vielen Wandervogelbegeisterten, die einst mit Stock und Ranzen in die Welt zogen, um abseits der Schlote und grauen Städte die Sinnlichkeit einer naturgebundenen Lebensart zu suchen. Hier begegnet sie mir und es gefällt mir, so dass ich beschließe wiederzukommen.
Das Wiesenttal wird immer enger und reicht kaum für den Fluss, die Straße und auch noch einen Wanderweg, der entlang eines der Hänge führt – mal sechs, sieben Meter hinauf, dann wieder hinunter, über Baumwurzeln und Felsen. Das geht in die Knochen und nervt vor allem deswegen, weil wir uns hier, direkt neben der ebenen Straße, zum Wanderkasper machen. Fitness brauchen wir nicht mehr, also bewegen wir unseren Hintern hinunter und stapfen nun auf der bequemen und ebenen Landstraße gen Pottenstein. Man hätte den Weg besser über die Hochfläche führen sollen, abseits des Verkehrs.
Intuitiv beginnt man an einer Straße das Tempo zu forcieren, und so verfallen wir dann auch bald wieder in unseren Sechskilometerschritt. Düsen dicht hintereinander her und im Gleichschritt die Straße entlang und stehen schon nach einer Stunde vor den Toren Pottensteins bzw. seinem Stadtfelsen. Darauf thront, wie so häufig in der Fränkischen Schweiz, eine Burg. Giebel an Giebel stehen die aus Fachwerk errichteten Häuser. Restaurants, Geschäfte und Cafés säumen die Hauptstraße, eingebettet in eine von steilen Felsen und dichten Wäldern umschlossene Senke. Ein Städtchen abseits der Tumulte – idyllisch, fränkisch, provinziell, aber durchaus liebenswürdig – mit einem Brunnen auf dem Marktplatz und einem dahintergelegenen Restaurant mit Außenbestuhlung.
Dort sitzen wir, und ein Betrunkener nervt uns und weitere Gäste mit seinen aufdringlichen Annäherungsversuchen; ein Ruhrpottler im Rentenalter, der sich hier niedergelassen hat, aber offensichtlich sehr einsam ist und seine Traurigkeit im Alkohol versenkt. Ich glaube nicht, dass er hier zum ersten Mal sitzt, bereits gegen Mittag ein Bier nach dem anderen konsumierend. Irgendwie tut er mir leid, weil er wohl nirgendwo eine Heimat hat und so verloren wirkt mit seinem schwergängigen Ruhrpottdialekt in dieser fränkischen Idylle. Aber er lässt uns einfach nicht in Ruhe, und schließlich wird Martin laut, zeigt ihm die rote Karte. Das hat er wohl kapiert. Umständlich kramt er seine Sachen zusammen und schlurft von dannen, eine jämmerliche Gestalt, vom Alkohol und dem mit ihm einhergehenden Blödfraß gezeichnet, erst geflohen und nun vertrieben – mich schaudert’s bei so viel Hoffnungslosigkeit.
Viel länger bleiben wir auch nicht. In einem der Läden frischen wir unseren Powerriegelbestand auf, ich besorge mir neue Zahnpasta, und weiter geht’s – wieder entlang der Straße, bis
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