Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
der Weg in einen Freizeitpark mündet und auf eine Sommerrodelbahn zuführt. Dort, wo die Bahn endet und die Rodler abbremsen, um sanft an das Ende der aufgelaufenen Schlitten zu gleiten, müssen wir vorbei. Neugierig betrachte ich die rasante Fahrt der Schlitten und staune vor allem darüber, dass die Fahrer selbst abstoppen müssen und nicht durch einen Automatismus zum Halten gebracht werden. Der eine macht das rechtzeitig und der nächste erst im letzten Moment, so wie jetzt dieser etwa 13-jährige Junge, der knapp vor seinem Vordermann zum Stehen kommt. Das Tempo, mit dem man auf das Ende zufährt, ist beachtlich, und während ich noch überlege, was wohl passiert, wenn einer das Bremsen vergisst, schießt ein Knabe auf die stehenden Schlitten zu und ballert ungebremst auf seinen Vordermann. Dessen Oberkörper klappt nach vorne, und der Kopf knickt mit dem Kinn auf die Brust, um dann mitsamt dem Rumpf nach hinten an die Sitzlehne zurückzuschnellen. Erschrocken greift er sich in den Nacken, und es verschlägt ihm die Sprache. Dem Hintermann geht es nicht besser. Sämtliche Farbe ist aus seinem Gesicht entwichen. Leichenblass sitzt er da und gibt ebenfalls keinen Ton von sich.
Meine Güte, das war heftig, wenn auch nicht lebensgefährlich. Ich bin überzeugt, dass zumindest der Angefahrene noch einige Tage schmerzhaft an seinen Rodelausflug erinnert wird, und würde jetzt am liebsten dem Betreiber der Anlage ein paar dringliche Fragen stellen.
Doch schon haben wir die Bahn unterquert, und nach wenigen Metern ist das Getöse vorüber. Ein Fichtenwald nimmt uns auf und führt uns in die Einsamkeit zurück, aus der wir gekommen sind und die unser hauptsächlicher Begleiter während der nun schon so langen Wanderung geworden ist. Drei Wochen sind vorübergestrichen, eine Ewigkeit für uns und ein Wimpernschlag für die Daheimgebliebenen. Ich bin jetzt ein Wanderer, durch und durch. Habe den täglichen Bogen, der sich über Aufbruch und Ankunft jeden Tag neu spannt, verinnerlicht und als Ziel akzeptiert.
Wir erreichen Kirchenbirkig, ein kleines Örtchen zwischen den Wäldern. Der Tag beginnt sich zu neigen, und es ist an der Zeit, sich um einen Schlafplatz zu kümmern. Ein winziger Kaufmannsladen, so wie ich ihn aus meiner Jugend kenne, existiert hier noch. Geführt von zwei älteren Damen, verbreitet er den Charme der sechziger Jahre und bietet auf engstem Raum Lebensmittel und allerlei Dinge des täglichen Bedarfs zum Kauf an. Irgendwie haben es die beiden Frauen geschafft, in der Enge noch zwei Stehtische unterzubringen und eine derart heimelige Atmosphäre zu schaffen, dass man geradezu angehalten wird, bei einer Tasse Kaffee zu verweilen und einen Plausch zu halten.
Wir kaufen Wein, Obst, eine Flasche Wasser und lassen uns Brötchen für unser Abendessen im Freien schmieren. Butter und Salatblätter holen sie aus der angrenzenden Küche. Eine der Damen öffnet sogar ein Glas saure Gurken und wickelt mir ein paar davon in Brotpapier ein. Mit so viel Liebe bekommt man nicht jeden Tag ein Brot geschmiert.
Dem selbstgebackenen Rhabarberkuchen und einem Pott Kaffee können wir nicht widerstehen, und so legen wir eine außerplanmäßige Wanderpause ein, schwatzen mit den Frauen und genießen den köstlichen Kuchen. Am Ende zahlt jeder 5,60 Euro, so viel, wie man bei mir zu Hause allein für eine preiswerte Flasche Frankenwein auf den Tisch legen muss. Für 20 Euro hätten wir auch ein kleines Zimmer bekommen können. Aber so viel Güte wollten wir uns nicht angedeihen lassen. Es ist besser, wir ziehen von dannen.
Der Weg wird immer einsamer. Der Himmel hat sich zugezogen und einen düsteren Schatten über die Landschaft gelegt. Es ist, als wanderten wir hinaus aus der Welt.
Bald zwei Stunden sind seit der Pause vergangen. Schließlich entschließen wir uns, auf einem an einem Feldweg gelegenen Wiesenstreifen unser Lager aufzuschlagen. Vor uns senkt sich die mit Buschwerk und Felsblöcken überzogene Steppe in ein flaches Tal, umschlossen von Wald und abermals Wald.
Routiniert bauen wir inzwischen unsere Betten. Ein junges Pärchen zieht vorbei und wünscht uns eine gute Nacht. Wo die herkommen, ist uns schleierhaft. Als wir mit der geöffneten Flasche Wein auf den Schlafsäcken sitzen, um zum gemütlichen Teil überzugehen, tritt ein Jäger aus dem nahen Wald. Über seiner rechten Schulter hängt eine Flinte. Den nach unten gerichteten Lauf hat er mit einer Hand umfasst. Er hält sich nicht lange mit Vorreden
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