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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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auf und herrscht uns an: „Was wollt ihr hier. Packt eure Sachen und fahrt zu einem Gasthof. Das Campen außerhalb ausgewiesener Plätze ist verboten. Das wisst ihr doch.“
    In seiner Stimme liegt ein drohender Unterton, und seine Haltung ist abweisend und fordernd. Während er spricht, gestikuliert er mit seinen Händen und richtet dabei immer wieder für kurze Momente das Gewehr auf uns, weil er die rechte Hand nicht vom Lauf lässt. Ich bin völlig perplex und für einen kurzen Moment sprachlos. Auch mein Wanderbruder sitzt da mit heruntergeklapptem Unterkiefer. Eigentlich ist die Situation urkomisch: Zwei Männer in langen Unterhosen und Skiunterhemden sitzen am Waldrand mit einer Flasche Wein auf ihren Schlafsäcken und prosten einander zu, während ein Jäger mit fuchtelnd auf sie gerichtetem Gewehrlauf breitbeinig vor ihnen steht.
    „Guter Mann, wie wär’s, wenn Sie mal das Gewehr beiseite tun. Wir sind ja hier nicht im Krieg“, kommt es mir endlich über die Lippen.
    Er blickt mich verdattert an, dann auf sein Gewehr und nimmt schließlich die Hand vom Lauf.
    „Sehen Sie hier ein Auto, ein Zelt oder ein offenes Feuer? Wir sind zwei Wanderer, seit Wochen unterwegs durch Deutschland und wollen hier nächtigen, weil wir nicht mehr weiterkönnen. Es ist schon spät. Ich wüsste nicht, dass man in Deutschland sich nicht auf eine Wiese legen und dort schlafen darf“, fahre ich patzig fort und ärgere mich über seine Gutsherrenart und das abfällige Duzen.
    Das ginge so nicht, da könnte ja jeder kommen, fährt er fort. „Ich habe euch da unten schon im Visier gehabt. Es ist Jagdzeit. Was ihr hier macht, ist nicht ungefährlich.“
    „Also, jetzt wollen wir doch mal den Ball flach halten. Nehmen Sie doch erst mal einen Schluck Wein, und dann reden wir in Ruhe“, entgegne ich.
    Einen Moment zögert unser Jäger, doch dann hockt er sich hin und nimmt einen Schluck aus der Pulle.
    „So, so, aus Hamburg kommt ihr, und alles zu Fuß? Da oben war ich auch schon mal, im Alten Land, in Neuenkirchen“, brummelt er, aber das Eis ist gebrochen.
    Nun liegt Neuenkirchen nicht gerade im Alten Land, aber ich lass das mal so stehen. Sein Gesicht hat sich aufgehellt, er redet, trinkt und erlaubt uns am Ende, hier zu schlafen.
    „Dann will ich mal woanders jagen“, verabschiedet er sich.
    Wir bedanken uns höflich und vermitteln ihm damit das Gefühl, gnädig gewesen zu sein und eine gute Tat vollbracht zu haben.
    Schon bald ist der Vorfall vergessen und die einsetzende Dämmerung kündigt die Nacht an. Der Himmel klart auf, die Sonne verschwindet hinter einer Wolkenbank. Als die letzten Strahlen verglimmen, legen wir uns zur Ruhe und lauschen in die Stille der sich senkenden Nacht. Seltsam vertraut ist mir die dunkel werdende Welt. Über Abertausende von Jahren hat der Mensch so geschlafen. Vielleicht ist mir deswegen nicht bang.

E IN TRÜBER T AG
    MITTWOCH, 21. MAI
LEIENFELS – GRÄFENBERG (FRÄNKISCHE SCHWEIZ), 26 KM
    Ein bleigrauer Himmel hängt über dem nassen Tal, es pieselt. Klamm und mit gedeckter Laune packen wir unsere feuchten Klamotten zusammen, die Fröhlichkeit vom Vorabend ist dahin. Ein kleiner Apfel und ein wenig Traubenzucker als Energielieferanten, und ab geht’s durch den Nieselregen in das feuchtkühle, fränkische Land hinein. Oh, wie liebevoll es uns zunickt und sich gleichzeitig unserem Zugriff entzieht, glitschig und feucht, wie es ist. Verfluchte Scheiße, das macht jetzt wirklich keinen Spaß! Und dann gleich auch noch einen steilen Hügel hinauf, durch das völlig verpofte Nest Leienfels. Niemand auf der Straße, die Häuschen ducken sich kummervoll, und auch wir schleichen traurig und nass durch die Gassen.
    Irgendwo soll es hier einen Felsen mit einer Burg oder Burgruine geben. So viel wir auch gucken, wir sehen nichts. Ein feuchter Schleier hat das Land verhüllt. Selbst der Weg will nicht mehr weiter und endet vor einem Privatgrundstück. So stehen wir nun im Regen und wissen nicht so recht, was wir tun sollen. Schließlich öffnen wir die Pforte zu dem Privatgelände und gehen durch den Garten hinter das Haus. Tatsächlich führt der Weg dort wieder in den Wald hinein und natürlich den Berg hinab. So sind wir, ohne zu frühstücken, ganz umsonst einen Berg hinauf- und dann wieder hinuntergegangen. Besser wär’s, wir wären gleich drum herum gelaufen.
    Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weitere vier Kilometer durch den düsteren Morgen bis zum nächsten Dorf zu wandern, in

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