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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Hochfläche der Fränkischen Schweiz herrscht herbstliche Stimmung. Nebel wabert über die Felder und verhüllt das Land. Eine Aussichtsplattform auf einem Felskoloss, dem Signalstein, lassen wir links liegen, man sieht eh nix. Auf einer Wiese steht ein einsames, riesiges Festzelt, bereit für die Sause am Wochenende. Niemand ist zu sehen, auch nicht in dem kleinen Dorf Sorg, welches hier auf der Höhe verloren unter dem grauem Himmel liegt. Ein Haus ist anders, ein Einfamilienhaus mit einem weißen, frischen Streußelputz, grünen Fenster-rahmen, einem akkurat gestutzten Rasen, Rabatten mit gehäckseltem Holz als Unkrautstopper, mit einer Miniaturwindmühle, einem roten Gartenzwerg und, unübersehbar am Grundstückrand zur Straße hin, auf einem Sockel aus Stein: ein Kreuz mit unserem Herrn Jesus und einer Inschrift.
    Wer mag hier wohnen? Auf jeden Fall Leute, die ihre Frömmigkeit zur Schau stellen. Akkurate und pflichtbewusste Menschen mit einem Hang zur Spießigkeit und zum Kitsch? So scheint es. Alles ist so übersichtlich, sauber und geordnet, ist gerichtet gegen das Ungereimte, das chaotisch Kreative, gegen das Fremde und Ungewohnte draußen in der Welt – dort hinter den Bergen in der großen Stadt.
    Gegen Mittag erreichen wir nach einer eher schleppenden Wanderung Egloffstein. Malerisch zieht sich der Ort einen Berghang hinauf, Man sieht ein Schloss, alte Herrschaftshäuser, weißgetünchte Fassaden und viel Fachwerk. Weit sichtbar leuchten gegen den dunklen Himmel die roten Dächer ins Land hinein. Ein schöner Anblick, selbst bei schlechtem Wetter.
    Uns verschlägt es in ein Café. Drinnen ist es warm, und wir nehmen auf den unbequemen Sitzgestellen an einem der Bistrotische Platz, bestellen heißen Kaffee und warmen Käsekuchen. Ich bin unglaublich müde, und die Sitzgelegenheit macht mir zu schaffen. Halb sitzt man, halb steht man und muss aufpassen, dass man nicht hinten überschlägt. Beim Gang auf die Toilette entdecke ich dann in einem Nebenraum ein ganzes Arsenal an bequemen Stühlen mit Tischen. Flugs wechseln wir den Standort, und ich sinke in einen der gepolsterten Sessel, lehne meinen Kopf an die Wand, schließe die Augen, merke noch, wie mein Schädel nach vorne sackt, und dann bin ich weg. Das erste Mal, dass ich am helllichten Tag in einem Café einschlafe, während mein Wanderbruder seine Rätsel löst.
    Der Nachmittag ist eher noch kühler als der Vormittag, aber es hat aufgehört zu regnen. Unter tief hängenden, nassen Zweigen wandern wir am Waldrand entlang, als ob wir einen Wandelgang an einer dunklen Mauer entlang laufen würden. Das dichte Blattwerk steht wie ein Dach über uns und schirmt das Licht ab. Modrig-feucht und kühl ist dieser Schattenweg am Waldessaum.
    Wir suchen vergeblich eine Rastmöglichkeit. Eben noch standen wir vor dem Gasthaus Seitz. Es hat montags ab 14 Uhr und mittwochs und donnerstags den ganzen Tag geschlossen, und heute ist Mittwoch. Eine einfache Speise- und Getränkekarte hängt vergilbt im Schaukasten neben der Tür, so, als ob sie bereits Jahrzehnte überdauert hätte. Die Bierpreise jedenfalls sind für uns Norddeutsche mindestens so alt: 1,80 Euro der halbe Liter naturtrübes Thuisbrunner Elch-Bräu.
    Ich sehne das Ende der Etappe herbei. Die Lust am Wandern hat mich heute verlassen. Eine warme Gaststube, ein Bett und natürlich nach beinahe drei Tagen endlich eine warme Mahlzeit sind alles, was ich will, und zwar so bald wie möglich. Das sechs Kilometer entfernte Gräfenberg am Südrand der Fränkischen Schweiz muss der Bringer sein.
    Das Städtchen wirkt düster und zugeklappt. Kaum einer ist unterwegs, und es ist doch erst fünf Uhr nachmittags. Auf dem schmucklosen Marktplatz halten wir Ausschau nach einer Bleibe. Der Gasthof zur Post ist geschlossen. Im nächsten Laden gibt es nicht einmal etwas zu essen, weil die Bedienung keine Lust hat zu kochen. Ein rotgesichtiger Mann mit einer blaugeäderten Kartoffelnase wurschtelt dort an der Theke vor sich hin. Er sei allein und die Chefin nicht da. Drei Männer, stumm und schuppig wie Fische, sitzen im schummrigen Licht an einem Tisch, trinken Bier und teilen sich eine „Bild“-Zeitung – ansonsten gähnende Leere. Nichts wie raus hier! Provinzielle Dekadenz und Hoffnungslosigkeit haben sich wie Nikotin in allen Poren dieses Raumes eingenistet.
    Endlich erwischen wir jemanden, den wir fragen können, und finden außerhalb der Stadtmauern einen urigen, fränkischen Gasthof, der auch zwei Zimmer für

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