Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
mächtigen Bäume zu Boden geht. Die Luft ist voller Benzin und Öl. Nichts wie weg von diesem martialischen Geholze.
Dann ist es wieder still. Auf einer Lichtung im Wald steht wie ein Mahnmal der Natur – als stummer Zeuge längst vergangener Zeiten – ein kleiner Saurier mit gespreizten Beinen, einem langen Hals und einem nach oben gereckten, schlanken, echsenartigen Kopf. Es scheint, als rufe er seine großen Brüder, die sich dort hinten an der Fressorgie berauschen. Er aber ist verdorrt.
Ein Ast ist so gefallen, dass er mit seinen Zweigen wie auf zwei Beinen auf der Wiese steht. Er ragt lang und schlank in die Höhe, und seine gespaltene Bruchstelle knickt an seinem Ende in einem stumpfen Winkel von ihm ab, wie ein Schädel, dessen Maul leicht geöffnet ist.
Die Szenerie ist so surreal und gleichzeitig so komplett anders als eben noch in dem Rodungsgebiet, dass ich meine, mich auf einer Zeitreise zu befinden.
Eine Windböe geht durch die Lichtung und fängt sich in den Baumkronen. Der Wald rauscht, irgendwo schlagen Äste aneinander. Wolkenschatten gleiten über uns hinweg, es wird kühler. Gleich tritt Gamashman aus dem Dickicht, um sein verlorenes Haustier heimzuholen. Für einen winzigen Moment sehe ich ihn, wie er aus dem Wald schreitet, eine finstere, mächtige Gestalt, die kaum auszumachen ist vor dem dunklen Hintergrund und plötzlich erstarrt, als sie mich erblickt. Die Zeit scheint gefroren und mit ihr dieses Bild in meinem Kopf.
Dann ist wieder alles ganz leicht. Die Sonne tritt hervor, spielt mit dem Schatten, der Wind wiegt sich in den Wipfeln der Bäume, und der Dino ist nur ein vertrockneter Ast, der auf der Wiese durch eine Böe erfasst wird und hin und her schwankt.
Wir tauchen wieder ein in die Wälder, und für Stunden lassen sie uns nicht mehr aus ihren Fängen. Beschwerlich ist es nach wie vor. Dieses Auf und Ab zermürbt und kostet Kraft. Am Ende weiß man nicht mehr, woher man sie nehmen soll, während der Weg sich streckt und die Zeit nicht vergehen will.
Das Frühstück ist lange her, und wir finden mal wieder keinen Gasthof, keinen Kaufmannsladen – nichts, um den Hunger zu stillen. Einen einzigen, winzigen Ort durchqueren wir, der den Eindruck macht, als wenn er schon seit hundert Jahren schliefe, und dann wieder nichts als Wald und abermals Wald. Zu lange schon ist er heute unser Begleiter, als dass er noch eine Abwechslung böte.
Irgendwo auf einer Lichtung nehmen wir unser freudloses Mahl ein – Powerriegel mit Wasser –, ruhen eine Weile und machen uns wieder auf den Weg. Es ist vier Uhr durch, und wenn wir nicht im Freien übernachten wollen, müssen wir bis Altdorf noch locker zehn Kilometer marschieren. Was uns vorantreibt, ist die Aussicht auf ein Bier, eine warme Mahlzeit und ein Bett. Also nehmen wir den Kampf gegen einen Tag auf, der nichts mehr werden will, sich schroff und unfreundlich gibt und offensichtlich keine Zugaben bereithält.
Mein Wanderbruder stapft einsilbig und in sich gekehrt neben mir her. Seine gute Laune hat sich seitwärts in die Büsche geschlagen. Mir scheint, als wenn er sein rechtes Bein leicht nachzieht.
„Läuft sich wohl nicht so gut, wenn man Schmerzen hat?“, spreche ich ihn vorsichtig an, aber genau das hätte ich nicht sagen sollen.
Klingt vielleicht auch ein bisschen zynisch, und ich muss zugeben, dass ich es nur gerecht finde, dass auch er mal spürt, wie es ist, wenn der Körper schmerzhaft signalisiert, dass er der Dauerbelastung Tribut zollen muss. Martin wird richtig pissig, und ich ziehe mich zurück. So wandern wir denn schweigend und zum Schluss überanstrengt in den frühen Abend hinein, wünschen nur noch das Ende dieser gottverdammten langen Etappe herbei.
Nach beinahe zwölf Stunden Pistentreterei erreichen wir schließlich Altdorf – fix und fertig. 900 Höhenmeter hinauf und genau so viele bergab sind wir gelaufen – 35 Kilometer zu Fuß mit zwölf Kilo Gepäck auf dem Buckel, in gereizter Stimmung durch einen Tag ohne Highlights und das nach 23 Tagen Wanderung. Hut ab, aber es war auch ein Ritt durch den Vorhof der Hölle.
Das Städtchen scheint nett zu sein, soweit unsere müden Augen das noch beurteilen können – sind sie doch mit dem Ausspähen nach einem Gasthof schon beinahe überfordert. Das erste Hotel, das wir anlaufen, ist belegt, und im zweiten offenbart man uns, dass ganz Altdorf von Messebesuchern des nahe gelegenen Nürnberg ausgebucht ist. Jetzt droht der Supergau. Was sollen wir tun?
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