Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
Vom Netzwerk:
Irgendwo essen und dann mit Einsetzen der Dunkelheit einen Schlafplatz suchen – kaputt und demotiviert in die Nacht hineinlaufen? Wir bitten und betteln um eine Notbleibe, aber da ist nichts zu machen. Immerhin telefonieren sie für uns, aber auch die Privatquartiere sind belegt. Schließlich rufen sie noch ein Hotel vor den Toren der Stadt an, und siehe da, ein Zimmer ist noch frei. Von Euphorie getragen laufen wir – nun wieder freundlich einander zugetan – zielstrebig die letzten Meter zu unserer Bleibe, einem schmucken Gasthof mit einem lauschigen Biergarten.
    In unserem Zimmer unterm Dach steht ein 1,40 Meter breites Bett. Ich mache ein langes Gesicht. Wie soll ich da mit dem mächtigen Martin nächtigen, ohne von der Bettkante gestoßen zu werden, und das für 48 Euro pro Person? Die Dame des Hauses schlägt doch tatsächlich vor, sich jeweils mit dem Kopf zu Füßen des Partners zu legen, dann hätte man mehr Freiraum. Das ist der Gipfel. Was glaubt die denn, ich bin doch nicht schwul.
    Sie bietet uns einen Trabbi für den Preis eines Golfs, und wir haben keine Chance zu verhandeln. So ist die freie Marktwirtschaft. Ein knappes Gut ist eben teuer und Nächstenliebe nur ein Wort.
    Ich rede auf die Frau ein und erreiche, dass ein Notbett herbeigeschafft wird. Die Matratze misst gerade mal 1,70 Meter. Ich bin zwar laut Pass zwei Zentimeter größer, aber heute während der Tour bestimmt um einiges geschrumpft. Lieber so, als Arsch an Arsch mit meinem Wanderbruder eine unruhige Nacht verbringen.
    Dann haben wir es geschafft, sitzen endlich im Biergarten und stürzen das erste Weißbier hinunter – ein Genuss, der einem Orgasmus gleichkommt. Den zweiten Halben kippen wir gleich hinterher, und ich sinke mit wohligem Gefühl immer tiefer in den Gartensessel. Meine Füße brennen, meine Beine tun weh, doch die Lust, die mir das Abschlaffen bereitet, durchflutet meinen Körper und mildert die Nachwehen dieses Hammertages. Das könnte jetzt so weitergehen, bis sich meine vom Bier benebelten Sinne auf und davon machen und das Bett der einzige Ort ist, den ich noch unter Aufbietung meiner letzten Kräfte bereit bin anzusteuern.
    Aber ich habe die Rechnung ohne meinen Martin gemacht. Der hat vorhin auf der Speisekarte an der Außenwand einer Pizzeria Spaghetti Carbonara entdeckt, eines seiner vielen Leib- und Magengerichte, und nun will er dahin. Ich protestiere nur matt – was soll ich machen? Die Carbonara kriege ich aus seinem Schädel nicht mehr raus. Also schlurfe ich hinter dem jetzt wieder behände ausschreitenden Martin hinüber zur Pizzeria. Wer weiß, ob ich sonst überhaupt noch etwas gegessen und mich nicht am Bier satt getrunken hätte.
    Als wir unsere Abendmahlzeit beenden, hat sich das Städtchen zur Nachtruhe begeben. Das Restaurant ist leer, und der vor uns liegende Platz liegt im Dämmer der Laternen. Ab und zu huscht ein Schatten durch einen der mattgelben Lichtkränze. Auf dem Weg nach Hause entdecken wir noch ein Lokal mit dem sinnigen Namen „Zum Spital“. Hier wird Bier als Medizin verkauft, und für zwei angeschlagene Wanderer ist das ja genau das Richtige.
    Das Erklimmen der Treppen in unserem Hotel ist der letzte, mühselige Anstieg an diesem Tag, und schon beim Hinabsinken auf meine Matratze spüre ich, wie der Schlaf mich übermannt.

E IN M OMENT DER
E RLEUCHTUNG
    SAMSTAG, 24. MAI
ALTDORF – NEUMARKT I. D. OBERPFALZ, 28 KM
    Ich erwache wie neugeboren und blicke durch das Fenster in einen sonnigen Morgen. Martin prokelt wie immer bereits an seinen Sachen herum. Eine Weile beobachte ich ihn, wie er versunken ein Teil nach dem anderen aus seiner Bauchtasche nimmt, es begutachtet und wieder akribisch verstaut. Er sitzt wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit auf der Bettkante. Wir kennen uns seit zwölf oder 13 Jahren und haben einiges zusammen unternommen. Sind wir eigentlich Freunde? Irgendwie schon, auf jeden Fall während dieser Tour. Würde ich ihn vermissen, wenn das Schicksal uns auseinandertreiben würde? Ich bin mir nicht sicher und weiß nicht einmal, ob ich überhaupt einen Freund im engeren Sinne habe, abgesehen von meiner Familie.
    Die Menschen kommen und gehen. Eine Zeit lang begleitet man einander und geht dann irgendwann wieder seiner Wege. Jedenfalls meistens. Über die Jahre verliert sich unmerklich der Zauber, bis man sich am Ende nichts mehr zu sagen hat oder die Interessen sich auseinanderentwickelt haben.
    So hat sich während des Studiums mein Bekanntenkreis einmal

Weitere Kostenlose Bücher