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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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hat mein guter Karl sogar befürchten müssen, daß sie ihm den Kaffee vergiftet!
    Ja, hatte Emma gesagt, sie werde ihn umbringen. Ihn und seine geliebte Klara dazu. So etwas habe sie für ihre Freundin gehalten! So eine Schlange! Sie habe eine Schlange an ihrem Busen genährt!
    (Emmas Busen unter dem wallenden Nachthemd. May erinnerte sich dieser Szene, als ob dabei ein Sturm getobt hätte. Ihr Schauplatz war aber die Tür zwischen dem Schlafzimmer und dem Ankleidezimmer. Also konnte es sich bestenfalls um Zugluft gehandelt haben.)
    Aber warte nur, hatte Emma gesagt. Bild dir nur ja nicht ein, daß ich schweigen werde! Alles, alles werde sie öffentlich sagen. Kara Ben Nemsi eine Niete im Bett. Old Shatterhand ein verkappter Päderast. Die Wahrheit über die angeblichen Reisen des Herrn May.
    Ich bitte dich, schrei nicht so, hatte May gesagt. Und hatte, jetzt erinnerte er sich genau, das bis dahin offene Schlafzimmerfenster geschlossen. Dann hatte er Emma zu umarmen und zugleich festzuhalten versucht. Aber da hatte sie ihn von sich gestoßen und ihm gezielt ins Gesicht gespuckt.
    Und doch, wußte May, sie hatten sich einmal geliebt. Sie war eins der schönsten Mädchen von Ernstthal gewesen. Und er, ein Herr Redacteur, was immer das war. Wenn er, was demnächst der Fall sein würde, mit seinen Artikeln genug Geld verdiente, konnte er dort, in Dresden, eine größere Wohnung mieten und sie endlich mitnehmen.
    Das aber war es, was von der Liebe blieb: Ich rührte sie nicht mehr an. Ich vermied es, mit ihr allein zu sein. Ich schlief in einer abgelegenen Bodenkammer, wo ich mich selbst bediente. Ich aß nur von der Speise, von der vorher die Dienstboten gegessen hatten.
    Aber vergessen wir das. Wir wollen der armen Emma nicht böse nachreden.
    May erschrak. Da sprach er von seiner ersten Frau, als ob sie gestorben wäre.
    Und dabei wurde er das Gefühl nicht los, daß sie ihn wahrscheinlich überleben würde.
    Vergessen wir das. Jedenfalls verbrachten und verbringen wir unsere Abende manchmal mit spiritistischen Séancen.
    Ja, sagte Klara, verbringen und verbrachten wir. Auch als die arme Emma noch dabei war und mein seliger Richard.
    Richard, erläuterte May, war Klaras Erster. Der übrigens, ich sage das nur, um Mißverständnisse zu vermeiden, in unsere Verbindung eingewilligt hat, wiewohl erst posthum.
    Klara: Es melden sich halt, wenn ich auf Rapport eingestellt bin, die verschiedensten Leute.
    May: Aber – und das ist es, was den Herrn Franz besonders interessieren wird – es melden sich nicht nur Tote.
    Klara: Nein, ab und zu, da melden sich auch noch Lebende. Etwa, wenn sie sehr weit weg sind, was Wichtiges sagen wollen oder sonst keine Gelegenheit zur Kontaktaufnahme haben.
    May: Übrigens ist es nicht so, daß meine Frau den Geistern, ob sie nun tot sind oder irgendwie, ich meine irgendwo, leben, nur ihre Stimme leiht – manchmal leiht sie ihnen auch ihre Hand.
    Klara: Das kommt auf die Geister an, manche mögen es lieber auf diese, andere auf jene Art.
    May: Das heißt, ihre Hand schreibt dann, was die Geister diktieren. Unter Fachleuten wird das als automatisches Schreiben bezeichnet.
    Interessant, sagte der Herr Franz, ein aus der Tiefe vegetativer Bedürfnisse aufsteigendes Gähnen unterdrückend.
    Er hatte sein zweites Glas Niersteiner ausgetrunken.
    Sie sagen es, sagte May, ihm hemmungslos nachschenkend. – Und heuer im Frühjahr, als meine Frau wieder einmal auf Empfang war, also was glauben Sie, was da hereinkam?
    Der Herr Franz, obwohl rechtschaffen müde, versuchte sich vorzustellen, wie die Frau Klara auf Empfang aussah.
    Nun? fragte May.
    Ich weiß es nicht, keine Ahnung.
    Sie werden staunen, sagte May, Sie werden Augen machen.
    Zeig es ihm, Herzle! Na komm schon, du sollst es ihm zeigen!
    Das war der Punkt, bis zu dem sich Kafka nachher noch einigermaßen scharf an diesen Nachmittag erinnerte. Von da an verschwamm so manches im Niersteiner-Nebel. Zum Beispiel hätte er nicht mehr sagen können, woher die Frau May das Köfferchen genommen hatte. Nur daß es schwarz war, daß sein Schloß etwas zu klemmen schien und daß es May, ein bißchen verärgert darüber, wie ungeschickt sich seine Frau damit anstellte, schließlich selbst öffnete.
    Drin waren Briefe, an sich nichts Sensationelles. Zumindest, lieber Max, hätte
ich
die Papiere, die daraus hervorgequollen sind, für ganz gewöhnliche Briefe gehalten. Es waren aber, wie sich gleich herausstellen sollte, keine gewöhnlichen Briefe. Von

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