Von ängstlichen Drachen, halben Mänteln und zahmen Wölfen - die schönsten Heiligenlegenden neu erzählt
nannte sie Lucia daher liebevoll.
Eines Tages sagte Eutychia zu Lucia: „Nun wird es bald Zeit, dass du heiratest, meine Sonne. Ich werde immer älter und die Krankheit lässt mich von Tag zu Tag schwächer werden. Wenn du erst einen Mann hast, dann brauche ich mir um dich keine Sorgen mehr zu machen, und ich alleine werde schon irgendwie klarkommen.“
Lucia war entsetzt. „Aber Mama, was soll ich mit einem Mann? Das mit dem Heiraten und Kinderkriegen ist nichts für mich. Es gibt so viele Menschen, denen ich helfen möchte, so viel zu tun, um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen – da kann ich doch nicht die Hände in den Schoß legen, Kinder kriegen und hinterm Herd stehen!“
Nun war Eutychia entsetzt. „Aber Kind, wie kannst du so reden! Das ist nun mal dein Weg als Frau, da kann man nichts …“ „Und ob man das kann, Mutter“, unterbrach Lucia sie. „Wir sind doch Christen. Und ich kenne einige Christinnen, die so leben, eben ohne zu heiraten und ohne eigene Kinder. Es gibt so viele Waisen, die niemanden haben, der sich um sie kümmert. Für sie will ich da sein!“
Eutychia war zu schwach, um weiter gegen ihre Tochter zu kämpfen. Und so sagte sie nur: „Mal sehen, was kommt …“ Lucia hatte aber sehr genau zugehört und wollte alles dafür tun, dass sie niemanden heiraten musste – schon gar nicht irgend so einen reichen Kerl, der sie dann mit Schmuck und teuren Kleidern behängte und ansonsten im Haus einsperrte.
In der Zeit, als Lucia lebte, war es ganz schön gefährlich, Christ zu sein. Der römische Kaiser Diokletian ließ alle verfolgen und töten, die wie Jesus leben wollten und an seinen Gott glaubten. Die meisten Menschen sagten niemand etwas davon, dass sie Christen waren, und trafen sich nur heimlich mit anderen Gläubigen. Manche mussten sich sogar vor den Römern deswegen verstecken. Und weil sie nirgends wirklich sicher waren, hausten sie oft an den schauerlichsten Orten: in Höhlen und unterirdischen Gängen, manche sogar auf unterirdischen Friedhöfen, Katakomben genannt, denn bei den Toten würde sie niemand suchen.
Auch Lucia und ihre Mutter versteckten ihren Glauben an Jesus, aber sie taten alles dafür, so zu leben wie er. Und weil Eutychia so schwach war von ihrer Krankheit, kümmerte sich Lucia um alles. Jede Nacht packte sie große Körbe mit Brot und Wasser, Obst und anderen Lebensmitteln, aber auch mit Kerzen und Stoffen, damit die Menschen, die sich versteckt halten mussten, nicht froren und ein bisschen Licht hatten. „Ich könnte noch viel mehr tragen, wenn ich nicht immer die Kerze in der einen Hand halten müsste, damit ich im Dunklen nicht stolpere“, ärgerte Lucia sich zum x-ten Mal, als sie wieder einmal unterwegs zu ihren Freunden war. Da kam ihr eine Idee. Am nächsten Tag bastelte sie sich einen Kranz aus Zweigen, auf dem sie die Kerzen mit Nägeln feststeckte. Als es dunkel wurde und sie sich auf den Weg machte, zündete sie die Kerzen an und setzte sich den Kranz auf den Kopf. „Prima“, freute sie sich, „jetzt kann ich zwei Körbe auf einmal tragen und sehe noch mehr als vorher!“ Als sie in die Katakomben kam und so hellen Glanz verströmte, sagte einer ihrer Freunde: „Schaut, da kommt die Sonne!“ Und so wurde Lucia auch für ihre Freunde zu „ihrer Sonne“.
Eutychia ging es aber von Tag zu Tag schlechter. „Mama, du darfst nicht sterben“, flüsterte Lucia an ihrem Bett. „Papa ist schon gegangen, ich habe niemanden auf der Welt außer dir! Bleib bei mir!“ Eutychia fuhr ihr zärtlich mit der Hand über das Haar. „Meine Sonne, dann musst du für uns beide leuchten“, sagte sie matt. „Aber ich habe dir etwas zu sagen“, antwortete Eutychia und setzte sich mühsam im Bett auf. „Während du dich um deine Freunde gekümmert hast, habe ich mich um deine Zukunft gekümmert. Ich habe eine Abmachung mit Malchus getroffen, dem reichen Kaufmann, der gleich vorne am Markt wohnt. Er hat einen Sohn, der gerne bereit ist, dich zu heiraten.“ „Nein!“, rief Lucia, „das werde ich nicht tun! Ich will nicht heiraten! Das wirst du mirnicht antun!“ „Dies ist mein letzter Wille, Tochter, bitte schlag ihn mir nicht ab!“, murmelte Eutychia erschöpft. Lucia kochte vor Wut, aber irgendwie tat ihr Eutychia auch leid. Sie hatte es nur gut gemeint und machte sich einfach Sorgen um sie.
Plötzlich musste Lucia lächeln. „Mutter, du willst doch noch nicht sterben, oder?“, fragte sie vorsichtig. „Nein, aber wenn mein Leben
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