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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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oxidieren ? Sodass die Sache sich so darstellen ließe:

    Perkin machte sich in den Osterferien 1856 bei sich zu Hause ans Werk. Er setzte Allyltoluidin mit Kaliumdichromat um, einem Salz der Chromsäure. Die gibt bereitwillig Sauerstoff an oxidierbare Partner ab.
    Er erhielt eine braune Masse. Was das war, wusste er nicht, wohl aber, was es jedenfalls nicht war: Chinin. Das ist nämlich ein weißes Pulver. Ein anderer hätte das negative Ergebnis brav ins Laborprotokoll eingetragen, seinem Professor mitgeteilt und auf neue Aufgaben gewartet. Nicht so der junge Perkin. Irgendetwas war ja herausgekommen – das Toluidin hatte reagiert. Vielleicht sollte er diese Reaktion mit einem einfacheren Molekül versuchen, mit Anilin selber? Das führte weg von der angestrebten Chininsynthese, er wich damit eindeutig von der Linie ab, die Hofmann vorgegeben hatte, er folgte seiner eigenen Intuition, die zunächst Interesse am Unbekannten war: schlichte Neugier, was da eigentlich vorging. Also oxidierte er Anilin; den Sauerstoff lieferte Kaliumdichromat, K 2 Cr 2 O 7 , das nicht weniger als sieben Sauerstoffatome enthält.
    Was da vorging, sollte erst viel später geklärt werden. Was aber herauskam, enthüllte sich ihm sofort: eine schwarze Masse. Statt den Dreck wegzuschütten, trocknet Perkin die Substanz und löst sie in Alkohol. Ein magischer Moment. Im Reagenzglas entsteht eine überirdisch schöne lila Farbe. Mit der Seidenbluse seiner Schwester unternahm er einen Färbeversuch: Das Lila blieb an der Faser haften, ließ sich weder auswaschen noch ausbleichen. Die erste synthetische Farbe war gewonnen! Er nannte sie Anilinpurpur, später setzte sich der Name Mauvein durch, von mauve – »malvenfarben«.
    Zwischen Runge, der solche Farben schon zuvor hergestellt hatte, und Perkin liegen nicht nur zweiundzwanzig Jahre und der Ärmelkanal, sondern mentale Welten. Was nämlich tut der junge Perkin? Meldet er die Entdeckung seinem Professor? Das tut er nicht. Sondern er stellt mit Hilfe seines Bruders weitere Proben her und schickt sie an schottische Färbereibesitzer. Die sind von der Farbe sehr angetan. Perkin nimmt im August desselben Jahres ein Patent auf seine Erfindung, leiht sich Geld und gründet mit Vater und Bruder die Firma »Perkin & Sons«, die in der Folge Mauvein herstellt. William Perkin wird reich. Und ein bedeutender Chemiker ganz abgesehen von seiner Farbe. Die »Perkin-Reaktion«, von ihm entdeckt, ist noch heute fixer Bestandteil des Instrumentariums der organischen Chemie. Aus Benzaldehyd und Acetanhydrid macht man zum Beispiel Zimtsäure. (Die Reaktion funktioniert auch sehr gut, jedenfalls die Variante, die ich im organischen Praktikum ausprobieren durfte – danach roch alles tagelang nach Zimt. Der Labormantel, die Kleidung, ich selbst …)
    Warum ist Runge gescheitert, wo Perkin Erfolg hatte? Schenzinger versäumt nicht, in seinem Roman die Charakterunterschiede plastisch herauszuarbeiten: Hier der geschäftstüchtige (sagen wir ruhig: gewinnsüchtige) Sohn Albions, dort der mit reiner Seele forschende deutsche Wahrheitssucher; besonders das Ignorieren von Hofmanns professoralen Anordnungen stieß dem Autor sauer auf – eigentlich Pflichtverletzung und Insubordination, das konnte ein Schriftsteller von Schenzingers Zuschnitt nicht gutheißen. Dabei musste er wissen, dass der Plan, aus Allyltoluidin durch einfache Oxidation Chinin herzustellen, eine Schnapsidee war, zeitbedingt – keine der handelnden Personen hatte 1856 im Gegensatz zu Schenzinger die geringste Ahnung, wie die einzelnen Atome in diesen dicken Summenformeln miteinander zusammenhängen. Die Totalsynthese von Chinin gelang erst dem Synthesegenie und Nobelpreisträger Robert Woodward 1944. Die Formeln lasse ich hier weg, Allyltoluidin und Chinin haben chemisch nichts miteinander zu tun. Das Vorhaben entspricht in etwa der Absicht, aus den Telefonnummern zweier Personen auf irgendwelche Beziehungen zwischen ihnen schließen zu wollen.
    Die Karwoche vor dem 23. März des Jahres 1856 war deshalb so bedeutsam, weil in dieser kurzen Zeitspanne der junge William Perkin in zweierlei Hinsicht bewies, worauf es in der Forschung ankommt. Erstens verließ er die Geleise des normalen Handelns. Dieses als Querdenken heute oft gepriesene und wenig verstandene Handlungsmodell heißt Abbiegen in eine völlig neue, nicht aus Vorherigem ableitbare Richtung; die gescheiterte Chininsynthese wird beiseitegelassen. Kein Thema mehr. Thema ist eine ganz neue

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