Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Aufseher-Schläger erdolcht in seiner Hütte liegt; Tenga verschwindet unbehelligt. Es gibt aber auch gute Engländer, so ist das nicht – ein anderer Aufseher, Conny Hawk, hilft den »Hindus« sogar beim Aufladen der schweren Pakete mit der fertigen Ernte und verliebt sich in ein einheimisches Mädchen, ehe die Pest seinen Ambitionen ein Ende macht. Alles auf wenigen Seiten, auf denen wir auch noch erfahren, welch mühsame Plackerei dieser Indigoanbau doch ist, kurz: Das ganze System beruht auf Sklavenarbeit, führt zur moralischen und gesundheitlichen Dekadenz aller Beteiligten, und das alles wegen einer Farbe!
    Indigo ist blau. Für die Gegenwart lässt sich behaupten: Indigo ist das Blau an sich. Schauen Sie an sich hinunter, geneigter Leser, liebe Leserin, welche Farbe haben die Jeans, die Sie vermutlich tragen? Ja, genau. Dieses Blau. 90 Prozent aller Jeans werden heute noch mit Indigo gefärbt. Allerdings nur die Kettfäden, das macht es erträglich, würde man auch noch die Schussfäden färben, wäre die Hose so knatschblau, dass vom Hinsehen Nachbilder auf der Netzhaut entstünden …
    Was hat diese Farbe nun mit Anilin zu tun? Anilin ist nicht nur der Titel eines Romans, sondern auch der Name einer Substanz.

    Wieder der bekannte Sechserring, eines der sechs Wasserstoffatome, die man sich an den Ecken dazudenken muss, ist durch die Gruppe -NH 2 ersetzt, die Aminogruppe . Das »N« ist die Abkürzung für »Nitrogenium«, so heißt der Stickstoff auf Latein. Indigo sieht formelmäßig so aus:

    Keine überwältigenden Ähnlichkeiten, man erkennt die Sechserringe, den Stickstoff und die beiden »O« für Sauerstoff. Die Geschichte des Anilins beginnt 1826 mit einem Versuch des deutschen Chemikers Otto Unverdorben im Brandenburgischen Dahme. Dort »… gelang es ihm erstmals, den für die Farben- und Kunststoffindustrie sehr wichtigen Grundstoff Anilin herzustellen, indem er natürliches Indigo einer Kalk-Destillation unterzog …« erfährt der interessierte Leser aus dem Internet. Die Formulierung ist ein bisschen unglücklich – man könnte meinen, Indigo sei eine brauchbare Quelle für den wichtigen Grundstoff Anilin. Dem ist nicht so: Indigo war sehr teuer, und man muss schon gut betucht sein wie der Herr Unverdorben, wenn man es, statt damit zu färben, für chemische Experimente verplempert. Außerdem: »Experiment« ist ein großes Wort – was macht man denn bei der Kalk-Destillation? Man sperrt den Stoff mit gebranntem Kalk in ein eisernes Rohr und heizt tüchtig von außen, eine Brachialmethode von chemisch kaum überbietbarer Gewaltsamkeit: Der untersuchte Stoff wird »abgebaut«, das heißt, er geht kaputt, die Bruchstücke retten sich dadurch, dass sie in der Hitze gasförmig entweichen. Man kann die Gase in einem kalten Rohr wieder kondensieren und die Flüssigkeiten oder festen Stoffe, die dabei entstehen, weiter untersuchen.
    Unverdorben nannte das Produkt »Crystallin«, weil es mit Säuren Salze in schönen Kristallen bildete. Das war es dann. Chemie war noch Naturgeschichte: Man stellte irgendwo und irgendwie eine Substanz her, die noch keiner hergestellt hatte, und gab ihr einen hübschen Namen, einen griechischen oder lateinischen natürlich. Ebenso machte es der Oranienburger Professor der Gewerbekunde und Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge, als er den Steinkohlenteer untersuchte und dabei eine überraschende Blaufärbung mit Chlorkalk beobachtete. Er nannte den Teerbestand teil Kyanol von griechisch kyanos – »blau«. Runge ist einer der Helden in Schenzingers Roman, was diesem Gelegenheit gibt, die verkrusteten Zustände im vorindustriellen Deutschland zu beklagen. Runge scheiterte mit allen Versuchen, seine Entdeckung auszuwerten und aus Kyanol eine Farbe herzustellen – stattdessen wurde er Chemieprofessor in Breslau. 1840 destillierte Carl Julius Fritzsche in seinem Petersburger Labor Indigo mit Kaliumhydroxid – und nannte den Stoff, der dabei entstand, Anilin . Der Name kommt von der spanischen Bezeichnung für Indigo, añil . Der russische Chemiker Nikolai Zinin stellte 1840 durch Behandeln von Nitrobenzol mit Ammoniumsulfid eine Substanz her, die er Benzidam nannte – und endlich klärte der Professor August Wilhelm v. Hofmann diesen ganzen Wirrwarr und bewies, dass all diese Substanzen ein und dasselbe waren: Anilin.
    Anilin ist eine wasserklare ölige Flüssigkeit von charakteristischem (üblem) Geruch. An der Luft wird Anilin schnell braun. Es ist ein starkes Blutgift

Weitere Kostenlose Bücher