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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Aufgabe: Welche Möglichkeiten stecken in der Reaktion?
    Zweitens sieht Perkin nach Entdeckung seiner Farbe nicht einfach nur die großen Möglichkeiten, sondern er verwirklicht sie auch konsequent und zielstrebig. Es ist klar, dass die Handlungs- und Denkmodelle, die ihn geleitet haben, vom gesellschaftlichen Umfeld der sich in Großbritannien entwickelnden Industrie bestimmt sind, von einer Kultur der Produktion, des Fortschritts, gepaart mit nüchternem Kalkül – einer inneren Haltung, die deutsche Geistmenschen nicht anders abzuqualifizieren wussten als mit dem Pejorativ »Krämerseelen«.
    Das Mauvein erlebte eine kurze Blüte als Modefarbe und verschwand dann im Farbenrausch der Teerfarbenchemie. Reich wurde Perkin trotzdem. Er starb hochgeehrt (und geadelt) 1907.
    Und der Indigo, der König der Farbstoffe? Mit den schon erwähnten Azofarbstoffen hat er nichts zu tun, wohl aber mit Anilin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es zahlreiche Versuche, Indigo aus irgendwelchen vorhandenen Chemikalien herzustellen – solche Synthesen wurden auch entwickelt; aber alle waren im Vergleich mit dem Naturprodukt zu teuer. Dem deutschen Chemiker Karl Heumann gelangen 1890 zwei Synthesen, die erste verwendet Anilin, Essigsäure, Chlor und Kalilauge. Essigsäure war aus dem sogenannten »Holzessig« erhältlich, eine Flüssigkeit, die bei der trockenen Destillation von Holz entsteht. Dieser Holzessig, der noch einen Haufen anderer Bestandteile enthielt, »… wirkt stark fäulniswidrig und dient zum Konservieren von Fleisch und Wurst (Schnellräucherung), von Holz und Tauen, zum Einbalsamieren (schon bei den alten Ägyptern) …«, wie »Meyers Konversationslexikon« von 1905 treuherzig schreibt. Egal, ob Holzbalkon, Mumie oder Schinken: Hauptsache haltbar … Keine Rede von irgendwelchen Grenzwerten. Apropos Rauch: Auch beim heutigen Räuchern werden Fleisch und Wurst dem Holzrauch ausgesetzt, nur werden die krebserzeugenden Benzpyrene vorher ausgefiltert, so weit also alles in Ordnung …
    Zurück zum Indigo. Essigsäure wurde industriell gewonnen, Kalilauge und Chlor erst recht nach einem neuen elektrochemischen Verfahren aus Kaliumchlorid und Strom oder Chlor allein nach dem älteren Deaconverfahren aus Salzsäure und Luftsauerstoff. Der Sauerstoff war überall vorhanden, aber woher kam die Salzsäure? Die entstand in rauen Mengen bei anderen Prozessen und war ein unerwünschter Abfallstoff, der uns im Soda-Kapitel begegnet; wobei die ersten Umweltschutzgesetze um die Mitte des 19. Jahrhunderts verboten, die Säure einfach in den nächsten Fluss zu kippen. Das Deaconverfahren beseitigte nicht nur überschüssige Salzsäure, sondern stellte daraus wertvolles Chlor her, das zu Synthesen gebraucht werden konnte, zum Beispiel beim Indigo. Es kam eben nicht darauf an, irgendeine Synthese zu erfinden (es gab schon einige), sondern ein technisches Verfahren, in dem Hunderte, wenn nicht Tausende Tonnen Indigo hergestellt werden konnten; erste Voraussetzung dafür war die massenhafte Verfügbarkeit der Ausgangsstoffe.
    Der wichtigste war natürlich das Anilin. Wo kam das her? Runge hatte es aus Steinkohlenteer gewonnen. Apropos Teer: Seit Jahrtausenden wurden im Nahen Osten Kohlenwasserstoffgemische aus der Natur verwendet, als »Erdharz« werden sie schon in der Bibel erwähnt, das erste Mal als Zuschlagstoff für den Mörtel beim Turmbau zu Babel (1. Buch Mose, 11,3). Anders der Steinkohlenteer: Für dieses Gemisch aus ein paar Tausend Substanzen gilt dasselbe wie für die eben erwähnte Salzsäure. Es entstand als zunächst unerwünschtes und lästiges Beiprodukt bei einem Verfahren, das anderen Zwecken diente: bei der Verkokung . Dabei wird Kohle erhitzt, woraufhin sie eine ganze Menge Inhaltsstoffe gasförmig abgibt. Unter Kühlung wird ein Teil davon flüssig, Teer und Gaswasser, ein Teil bleibt gasförmig, das ist Leuchtgas. Aber deswegen hat man die Verkokung ursprünglich nicht gemacht, sondern wegen des Rückstands, der ausgeglühten Kohle: Koks. Der Name kommt vom lateinischen coquere , was einfach »kochen«, aber auch »dörren« und »reif machen« bedeutet; das ist beim Koks die eigentliche Bedeutung. Die Kohle wird gedörrt, reif gemacht. Wofür? Um damit Eisen zu gewinnen. Das kommt in der Natur nicht als Metall, sondern meistens als Oxid vor, das heißt als Verbindung mit Sauerstoff. Will ich nur das Eisen, so muss der Sauerstoff erst einmal raus. Das geht aber nur, wenn ich ihm einen Partner

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