Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Kohle rotglühend auf dem Grund der Retorte, wird endlich von einem schweren Haken an die freie Luft gezogen. Hier überfällt es ein eisiger Wasserstrahl. Unter donnerndem Getöse zerknallt die glühende Hitze, zerstäubt als zischender Dampf …
Na ja. Sehr expressiv, man darf auch sagen: trivialer Chemieschwulst , deutlich wird aber die Emotion, die den Autor beherrscht und die er darüber hinaus beim Leser hervorrufen will. Hier wird nicht einfach ein Stück Kohle »trocken erhitzt«, sondern für die Deutschen »ein Platz an der Sonne« erfochten; Chemie ist ein Titanenwerk und nicht die Beschäftigung bebrillter weißbemantelter Figuren, die in Räumen voller unverständlicher Glasapparaturen mit irgendwas herumhantieren, das man nicht aussprechen kann …
Soda
Bei der Soda – jawohl: es heißt die Soda! – also bei der Soda ersparen wir uns gleich einmal eine Strukturformel, es genügt die einfache Summenformel:
Na 2 CO 3 . Also zwei Natriumatome, ein Kohlenstoffatom und drei Sauerstoffatome bilden das Salz Soda. Der Name kommt vom arabischen suwwad , der Name einer Pflanze, aus der man Soda hergestellt hat. Davon später mehr.
Bei den Substanzen, die in diesem Buch behandelt werden, sind die Chancen, sie im eigenen Haushalt zu finden, höchst unterschiedlich ausgeprägt. Zucker findet sich wohl in jedem Heim (hoffentlich), DDT in keinem (hoffentlich!); Soda nimmt eine Zwischenstellung ein. Sehen Sie doch einmal im Schrank unter der Spüle nach, wo die Putzmittel stehen. Oder in der Garage auf dem Bord mit den Autopflegedosen. Es dürfte sich um eine schlichte Plastiktüte mit weißem Inhalt handeln, grobe Körnchen von merkwürdig fettig glänzendem Aussehen. Wenn Sie nichts dergleichen finden, machen Sie sich nichts draus, die sogenannte »Waschsoda« (sie enthält außerdem noch zehn Teile Kristallwasser) ist Haushaltsnostalgie, inzwischen gibt es andere Reiniger. Das gilt allerdings nur für die Küche. In der Industrie war und ist Soda einer der bedeutendsten Grundstoffe überhaupt. Mit ihrer großtechnischen Erzeugung beginnt die chemische Industrie im 18. Jahrhundert.
Nur ein Kohlenstoffatom – die anderen Atome sind in der Überzahl. Üblicherweise behauptet man: organische Chemie ist die Chemie des Kohlenstoffs, anorganische die Chemie aller übrigen Elemente. Demnach wäre Soda eine organische Verbindung, also aus dem Bereich der belebten Natur stammend. Nun gibt es kaum einen in der Natur vorkommenden Stoff, der nicht nur so unlebendig, sondern sogar so lebensfeindlich ist wie die Soda, ausgenommen giftige Mineralien ( Arsenik zum Beispiel). Soda stammte im Altertum aus dem Wadi Natrun, eine wenig erbauliche Gegend in der ägyptischen Wüste neunzig Kilometer nordwestlich von Kairo, die im frühen Christentum als so ideal »wüstenhaft« galt, dass sie Hunderte asketische Einsiedler anzog. Auch Mönche, die garantiert ihre Ruhe haben wollten, gründeten Klöster in der Gegend, zum Beispiel Makarios von Alexandria im 4. Jahrhundert. Das Wadi Natrun liegt bis zu dreiundzwanzig Meter unter dem Meeresspiegel. Solche Orte sind immer sehr heiß; wenn Wasser eindringt, verdunstet es und hinterlässt die gelösten Minerale als Ablagerungen. Das war schon den alten Ägyptern aufgefallen, sie bezogen aus dem Natrontal die Soda, die sie zur Einleitung der Mumifizierung benötigten.
Chemisch ist Soda Natriumcarbonat, ein Natriumsalz der Kohlensäure: H 2 CO 3 .
Die Ähnlichkeit ist offensichtlich – die beiden Wasserstoffatome (H) sind durch Natriumatome (Na) ersetzt. Es muss nicht Natrium sein, die Kohlensäure bildet mit anderen Metallen einen Haufen anderer Salze. Unter anderem Kaliumkarbonat K 2 CO 3 (Pottasche) oder Kalziumcarbonat CaCO 3 (Kalkstein). Wenn Sie ins Freie gehen, begegnet er Ihnen, wenn Sie in Süddeutschland wohnen, buchstäblich auf Schritt und Tritt – jede sichtbare Erhebung besteht dort wenigstens zu einem Teil aus Kalkstein. Das liegt daran, dass Kalziumcarbonat ebenso wie das verwandte Magnesiumkarbonat relativ schwer wasserlöslich ist, weshalb zahlreiche Meeresorganismen von Submillimeter- bis Metergröße ihre Schalen aus Kalk aufbauen. Das tun sie schon seit Hunderten von Jahrmillionen. Wenn sie sterben, sinken die Schalen zum Meeresgrund und bilden mit der Zeit dicke Schichten. Wenn die dann durch geologische Prozesse gehoben und gefaltet werden, entstehen Gebirge von Alpen- bis Himalajagröße.
Mit Natriumcarbonat kann das nicht passieren; dieses Salz löst sich in
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