Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
brechen, und den Export der Samen und Pflanzen vorsorglich unter Todesstrafe gestellt. Genutzt hat es nichts. Haßkarl gelang die Verschickung einer Kiste mit Samen nach Holland, 1854 erreichte er sogar mit vierzig Baumschösslingen Java. Schon fünfzehn Jahre später gab es auf der Insel eine Million bester Chinarindenbäume.
Chinin wirkt nur in jenen Stadien auf den Malariaerreger, in denen er sich im Blutstrom ungeschlechtlich durch Zellteilung vermehrt; in ebenjene Teilung greift es massiv ein, es hemmt die Synthese der Erbsubstanz des Erregers, der Nukleinsäuren (DNA). Gegen jene Formen, die sich in die Leber zurückgezogen haben und dort Monate oder Jahre still verhalten, kann es nichts ausrichten, also auch keine neue Invasion aus der Leber verhindern. Wer also eine tägliche Dosis des Mittels zu sich nimmt, kann nur die explosive Vermehrung des Parasiten und schwere Leberschäden verhindern – mit leichten muss er leben. Gesundheit ist etwas anderes. Außerdem geht die tägliche Einnahme mit einer ermüdend langen Reihe von Nebenwirkungen einher, deren Aufzählung ich mir erspare. Dennoch hat es nicht an Anstrengungen gefehlt, Chinin im Labor herzustellen, um von der Rinde unabhängig zu werden, ein früher und bedeutsamer Versuch wird im Anilin-Kapitel geschildert.
Die Totalsynthese des Chinins gelang erst 1944, da gab es längst andere Mittel, allesamt zuerst in Deutschland hergestellt.
Das erste war 1926 Plasmochin , 1930 kam das deutlich wirksamere Atebrin , bei den IG-Farben unter 12 000 Substanzen als Malariamittel ausgewählt. Dennoch spielte es im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite keine Rolle, weil man hier inzwischen das noch wirksamere Sontochin eingeführt hatte. Die Alliierten verwendeten das Atebrin allerdings unter dem Namen Quinacrine im Riesenmaßstab bei ihrer Kriegführung im Pazifik, es war ihre wichtigste Waffe gegen die Malaria – Krieg ohne Malariamittel wäre gar nicht möglich gewesen.
Das nächste deutsche Mittel, Chloroquin , wurde sofort nachgeahmt, stand aber erst 1944 in großen Mengen zur Verfügung:
Man erkennt gewisse Ähnlichkeiten mit der Chinin-Formel (1), der rechte obere Teil mit der komplizierten käfigartigen Struktur ist vereinfacht worden, geblieben ist das Doppelsechseck mit dem eingebauten Stickstoff, das so genannte Chinolin. Runge fand es schon 1834 im Steinkohlenteer, den Namen hat es aber wieder vom Chinin, aus dem man es durch Destillation mit scharfen Alkalien erhält.
Viele moderne Malariamittel haben diese Chinolin-Struktur immer noch als Baustein des Moleküls, daneben gibt es andere mit völlig anderem Aufbau. Gründe für die Entwicklung immer neuer Malariamittel gibt es zwei: Nebenwirkungen und Resistenzen. Wer heute in Malariagebiete reist, muss vorbeugend verschiedene Wirkstoffkombinationen einnehmen und das beachten, was die Mediziner mit dem schönen Wort Expositionsprophylaxe bezeichnen: Man soll schauen, sich nicht der Mücke zu exponieren, also lange Ärmel, Mückennetz und so weiter. Die beste Expositionsprophylaxe wäre natürlich, gar nicht in solche Gegenden zu fahren. Um sich anzustecken, scheint es, ist das auch gar nicht nötig, wird sich doch die Malaria mit der Klimaerwärmung sowieso in nördliche Gefilde ausbreiten, wie manche Wissenschaftler befürchten. Ach ja? Wenn es die Mücke warm braucht, ist allerdings nicht ganz verständlich, warum sich im eiskalten 18. Jahrhundert, als die »Kleine Eiszeit« noch voll im Schwange war, der arme Friedrich Schiller mit Malaria angesteckt hat – in Mannheim! Es hieß damals Wechselfieber, losgeworden ist er sie nie mehr, die Widerstandskraft gegen sein Lungenleiden muss die Malaria stark reduziert haben, wobei es keine Rolle spielte, dass die Krankheit nicht Malaria, sondern Wechselfieber hieß. Mannheim galt schon lange als fieberverseucht. Zwanzig Jahre vorher hatte Mannheim unter einer Wechselfieberepidemie gelitten, von 1228 erkrankten Soldaten waren 14 gestorben, wie der Garnisonsarzt Friedrich Casimir Medicus berichtete. Von Mücken schrieb er nichts, vermutete die Ursache in den fauligen »Miasmen«, die aus den zum Sumpf eingetrockneten Stadtgräben aufstiegen. Die relativ geringe Todesrate führte er ganz richtig auf die Chinarinden-Behandlung zurück; in der Chinarinde vermutete er, ebenfalls korrekt, ein »Specificum« gegen das Fieber. Die meisten Zeitgenossen sind ihm darin nicht gefolgt.
Dass Deutschland heute nicht mehr unter der Malaria leidet, liegt an den
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