Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
umfangreichen Meliorationen der folgenden Jahrhunderte – an ebenjenem Verschwinden naturnaher Feuchtgebiete, das von den Naturschützern seit Jahrzehnten beklagt wird. Die Mücke braucht kein wärmeres Klima, sondern stehende Gewässer. Hier wird man abzuwägen haben.
Resistenzen: Das Mittel Chloroquin wirkt nach gegenwärtiger tropenmedizinischer Kenntnis überhaupt nur noch in Mittelamerika und auf der Insel Hispaniola (Haiti, Dominikanische Republik) – in allen anderen Malariagebieten der Erde sind die Erreger immun geworden. Dort kommen andere Mittel zum Einsatz, zum Beispiel das aus der Pflanze Einjähriger Beifuß extrahierte Artemisinin . Und Chinin? Das erlebt als Malariamittel eine Renaissance und wird eben wegen der Resistenzen in Kombination mit anderen Mitteln eingesetzt. Der Mitteleuropäer wird der Substanz aber nur im Tonic Water und Bitter Lemon begegnen, wenn er nicht gerade in den Süden fährt. Wegen der Nebenwirkungen ist der Chiningehalt heute begrenzt, früher lag er viel höher und konnte, wenn das Wasser regelmäßig konsumiert wurde, der Malaria vorbeugen.
Könnte man nicht impfen? Die Impfung gegen Malaria wäre die erste gegen einen Parasiten. Seit achtundzwanzig Jahren wird vom Pharmariesen GlaxoSmithKline an einem Impfstoff geforscht – sie ist die einzige Firma, die auf diesem Gebiet tätig ist. Der Grund ist einfach: Mit einer Malariaimpfung lässt sich kein Geld verdienen. Es ist eine Arme-Leute-Krankheit, es besteht überhaupt keine Chance, von den Bewohnern der Malaria-Endemie-Gebiete irgendwie die Entwicklungskosten hereinzubringen. Man wird den Impfstoff, so er wirklich um 2015 verfügbar ist, mehr oder weniger herschenken müssen. Die Gesamtkosten werden auf 400 Millionen Dollar geschätzt, Bill Gates hat 200 Millionen zugeschossen. Eine, wenn man so will, sehr teure Imagekampagne für die pharmazeutische Industrie.
Die Erreger, die man im 3300 Jahre alten Leichnam von Tut-anch-Amun gefunden hat, werden uns aber noch lange begleiten. Und mit ihnen das erste »Specificum« dagegen: Chinin.
Penicillin
Während ich dies schreibe, tobt in meinem Organismus ein Kampf. Bakterien, die sich in meinen Mandeln eingenistet haben, wehren sich gegen ein Gift; es ist die Waffe eines uralten Gegners, eine Substanz, die sie in ihrer Existenz bedroht, weil es sie an der bakterientypischen Vermehrung hindert, der Zellteilung. Die Waffe stammt nicht von mir, nicht meine eigenen Zellen haben sie hergestellt – als dieses Gift entstand, gab es so etwas wie menschliche Zellen noch gar nicht, es gab auch keine höher entwickelten Tiere oder Pflanzen, nur Bakterien. Und Pilze. Die Epoche liegt viele Jahrmillionen zurück, als die Erde buchstäblich wüst und leer war.
Die Substanz heißt Penicillin nach dem Pilz, in dem sie entdeckt wurde, Penicillium notatum. Heute heißt er Penicillium chrysogenum. Das lateinische Penicillium bedeutet Pinselchen, weil sich die Fäden dieses Pilzes pinselförmig teilen, er gehört zu den sogenannten Pinselschimmeln. Notatum heißt »zur Kenntnis genommen«, »notiert« – eine treffende Bezeichnung, die Menschheit hatte allen Grund, diesen Schimmelpilz zur Kenntnis zu nehmen. Wagen wir einen Blick auf die Formel des Penicillins:
Der Anblick dieser Formeln ist ein weiterer Grund für die geringe Beliebtheit der Chemie bei Schülern und Studenten, die damit als Nebenfach konfrontiert werden. Vergleicht man etwa die Übersichtsformel im »Benzin«-Kapitel, die so geordnete (wenn auch langweilige) Kohlenstoffkette mit den drangehängten Wasserstoffatomen, dann stellt sich hier die Frage: Wer hat sich diesen komplizierten Wirrwarr ausgedacht? Der Mensch ist unschuldig, ich hatte es erwähnt, die Formel existierte lange, bevor Menschen auf Erden wandelten; und ausgedacht ist auch das falsche Wort; das Ding ist Ergebnis der chemischen Evolution, der Erfinder also die Natur selber.
Wir erkennen bei näherem Hinschauen einen Ring mit fünf Ecken, drangeklebt einen zweiten mit vier Ecken. Wie immer gilt: Wenn die Ecken nicht näher bezeichnet sind, steht dort ein Kohlenstoffatom. Was kommt sonst noch vor: N für Stickstoffatome ( Nitrogenium ), O für Sauerstoff ( Oxygenium ) und S (das ist leicht) für Schwefel ( Sulfur ). Die Natur hat sich sozusagen bei der Synthese nicht in geistige Unkosten gestürzt, sondern einfach zwei weithin verfügbare Aminosäuren, nämlich Valin und Cystein , zusammengebastelt – und schon war die Grundstruktur des Penicillins
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