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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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standen der Rinde feindlich gegenüber, weil die Wirkung nicht ihren verqueren theoretischen Vorstellungen von den Körpersäften entsprach. Der englische Arzt Robert Talbot vertrieb ein »Arcanum« (Wundermittel), mit dem er die Malaria heilen konnte – es bestand schlicht aus Chinarinde. Die allgemeine Skepsis wich erst, als so prominente Patienten wie der englische König Karl II. und der französische König Ludwig XIV. erfolgreich behandelt wurden.
    1820 gelang es den französischen Pharmazeuten Pierre Pelletier und Joseph Caventou, den eigentlichen Wirkstoff Chinin aus der Rinde zu extrahieren und in reiner Form darzustellen. Die beiden hatten zuvor schon das Chlorophyll als grünen Pflanzenfarbstoff entdeckt und die Gifte Morphin, Strychnin und Brucin aus den jeweiligen Pflanzen isoliert. Die Rinde enthält bis zu 15 Prozent Wirkstoff. Das weiße Pulver ist in Wasser kaum löslich: Um 1 Gramm Chinin in Wasser zu lösen, braucht man fast 2 Liter, aber nur 0,8 Milliliter Alkohol. Deutlich besser wird die Wasserlöslichkeit, wenn man aus Chinin Salze herstellt. Vom Chinindihydrochlorid löst sich 1 Gramm schon in 0,6 Milliliter Wasser, was für die Einnahme als Tablette entscheidend ist. Aber das sind Spezialfragen der Anwendung – noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Hauptproblem: Woher überhaupt die Rinde nehmen? Die europäischen Kolonialmächte hatten erkannt, dass die Beherrschung ihrer tropischen Besitzungen von der Verfügbarkeit der Chinarinde abhing; hatte man keine oder zu wenig, konnte man die Sache, grob gesagt, vergessen. Für die Engländer stellte sich das Problem in Indien, für die Niederländer in Südostasien. Die Nachschublage bei der Rinde war prekär. Die Briten hatten sich ausgerechnet, dass zur Versorgung ihrer Truppen in Indien jedes Jahr 750 Tonnen der Fieberrinde nötig waren, für ganz Indien das Zehnfache. Man darf nicht vergessen, dass die vielen, die die Malaria überleben, chronisch krank und nicht leistungsfähig sind. Afrika stellte malariamäßig alle anderen Kontinente weit in den Schatten. In einigen Gebieten litten 60 Prozent aller Einwohner darunter, Westafrika galt über Jahrhunderte als »Grab des weißen Mannes«; es war für Europäer einfach nicht möglich gewesen, von den Küstensiedlungen entlang der großen Flüsse ins Landesinnere vorzudringen.
    Man brauchte also von der »Rinde der Rinden« viele Tausend Tonnen. Diesem Massenbedarf stand eine völlig ungenügende Versorgung gegenüber. Die Rinde des Cinchona-Baumes wurde in den Hochlagen der Anden gesammelt. Die Bäume musste man suchen, sie standen weit auseinander; hatte man einen gefunden, wurde die Rinde komplett abgeschält, wodurch er unweigerlich einging. Durch die Rinde jedes Baumes verlaufen die Gefäße, über welche die Blätter mit Wasser und Nährstoffen versorgt und die Produkte der Photosynthese wieder nach unten transportiert werden – der Fieberrindenbaum macht da keine Ausnahme. Schon am Beginn des 19. Jahrhunderts war abzusehen, dass der extreme Raubbau zum Aussterben der Art führen musste. Auch die Qualität des Produktes ließ zu wünschen übrig: Es existierten Dutzende Rindenvarianten unbekannter Herkunft, die einzelnen Varietäten des Baumes schwankten im Wirkstoffgehalt, teilweise ging es bis auf null herunter, dazu kam, dass dieser Wirkstoff sich nach ein paar Jahren Lagerung sowieso abgebaut hatte.
    Es musste etwas geschehen: Der britische Abenteurer Clement Markham unternahm von 1859 bis 1862 Expeditionen ins Andengebiet, um lebende Exemplare des Fieberrindenbaumes zu beschaffen, nach Indien zu exportieren und die Cinchona-Bäume dort in Plantagen anzubauen. Das gelang auch. Markham wollte die zur Vermeidung der Malaria nötige tägliche prophylaktische Dosis für einen Viertelpenny anbieten; dieselbe Dosis kostete als gesammelte peruanische Rinde einen Shilling, achtundvierzig Mal so viel. Dennoch war auch ein Viertelpenny für viele indische Kulis eine bedeutende Einbuße.
    Die niederländische Regierung war schneller gewesen als die Briten: Schon 1852 hatte sie den aus Kassel gebürtigen Botaniker Justus Karl Haßkarl, der den botanischen Garten in Buitenzorg leitete, damit beauftragt, sich die Bäume in Südamerika zu besorgen. Buitenzorg (niederländisch für »sorglos«) liegt auf Java, heißt heute Bogor und ist die regenreichste Stadt der Insel. Die Peruaner hatten aber mitgekriegt, dass die Kolonialmächte versuchten, das Monopol auf die heilende Rinde zu

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