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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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… Das Gasthaus »Zum Schwert« gibt es schon lange nicht mehr, heute steht an derselben Stelle ein Kaffeehaus, was den Sittenwandel am Beginn der Neuzeit exemplarisch verdeutlicht, ich werde im Koffein-Kapitel darauf zurückkommen.
    Wer den Alkohol nicht vertrug, musste sich zu Tode saufen, um dem Zutrinken zu entgehen, konnte er sich nicht einmal auf fürstliche oder städtische Verbote berufen, die wurden einfach ignoriert. Ein Nürnberger Patrizier ist in die Abstinenzgeschichte durch eine ungewöhnliche Maßnahme eingegangen: 1547 ließ er sich von Papst Paul III. ein Privileg ausstellen, dass ihn niemand zum Zutrinken zwingen dürfe!
    Das 16. Jahrhundert war auch deshalb besonders »alkoholisch«, weil jetzt zum ersten Mal »Gebranntes« in großem Umfang zur Verfügung stand. Die Technik der Destillation war in einfachen Vorformen schon der Antike bekannt, die heute noch übliche Form stammt aber aus dem Orient und findet sich in den Schriften von Abu Musa Dschabir ibn Hayyan, der latinisiert »Geber« genannt wurde und eine wichtige Rolle als Quelle der Alchimisten spielte. Der Mann lebte im 9. Jahrhundert und war so angesehen, dass man ihm vierhundert Jahre später in Europa eigene alchimistische Texte unterschob, die dadurch von einer unangreifbaren Autorität geadelt waren, der sogenannte »Pseudo-Geber«. Das Mittelalter kannte aus den arabischen Schriften die Technik der Destillation, das lateinische Wort destillare heißt »herabtropfen« – jeder, der schon einmal beim Schnapsbrennen zugeschaut hat, wird bestätigen, dass dies der entscheidende Moment und der Kern des ganzen Vorgangs ist: wenn die im Brennkessel verdampfte Flüssigkeit sich als Dampf im Brennhelm gesammelt und im »Geistrohr« durch äußere Kühlung wieder verflüssigt hat.

    Auf der Abbildung steht der Brennkessel in einem Wasserbad, wird also indirekt geheizt, wodurch man das Anbrennen der Maische verhindert. Es ist eine der größten Ironien der Geschichte, dass die abstinenten Muslime das Schnapsbrennen erfunden haben; über Salerno kam es um 1200 nach Europa, aber erst drei Jahrhunderte später wurde Branntwein zu einem Konsumartikel, vorher war er ein Apothekenprodukt. Darauf weisen medizinische Schriften, die den Branntwein gegen Fallsucht, Wassersucht und graue Haare empfehlen; Branntwein gegen Melancholie – das können wir auch heute noch glauben, wenn man so will, wird er deswegen bis in die jüngste Gegenwart getrunken. Die Wende leitet Michael Schrick mit seinem Buch »Von den ausgebrannten Wassern« ein. Das Werk erlebt zwischen 1476 und 1533 siebenundvierzig Auflagen! Hier geht es nicht mehr um Medikamente, sondern um Branntwein als Getränk. Man spricht von einer »Branntweinrevolution«; Ernst Schubert sieht den Grund dafür in verbesserten Destillierapparaten mit neuen Kühlrohren, die eine größere Alkoholausbeute ermöglichen; also eine Innovation auf der Angebotsseite, die Nachfrage scheint nie eine Begrenzung gewesen zu sein, jede produzierte Menge wurde weggetrunken. Im Lauf der Neuzeit steigert sich der Schnapskonsum zu einem Ausmaß, das im 18. Jahrhundert die Behörden auf den Plan ruft. Die Volksgesundheit hatte durch die »Branntweinseuche« einen Tiefpunkt erreicht. Friedrich Engels hat den technologischen Wandel untersucht. Ausgelöst wurde er durch die Entdeckung, dass man Alkohol nicht nur aus Getreide gewinnen konnte, sondern auch aus den weit billigeren Kartoffeln. »Der Schwerpunkt der Brennerei wurde endgültig von den Städten aufs Land verlegt und die kleinbürgerlichen Produzenten von gutem, altem Getränk mehr und mehr durch die infamen Kartoffelfusel produzierenden Großgrundbesitzer verdrängt.« Dieser billige Schnaps wurde in Preußen massenhaft hergestellt. Wenn in des »Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse« sonst schon nichts Vernünftiges wuchs – Kartoffeln gediehen prächtig, und mit Kartoffelsprit hatte nun auch Preußen ein begehrtes Exportgut, das in ganz Europa zum »Aufspriten« zweifelhafter Wein- und Weinbrandqualitäten verwendet wurde. Und selbst getrunken wurde er natürlich auch: 1827 lag die Produktion bei 144 Millionen Litern, das bedeutete 12 Liter pro Kopf. Schnaps war billig, ein Mann konnte, schreibt Engels, »… für fünfzehn Silbergroschen die ganze Woche lang im höchsten Tran bleiben«.
    In der frühen Industrialisierung bietet der Schnaps dann dem Proletarier die einzige Möglichkeit, über die entsetzlichen Lebensbedingungen hinwegzukommen. Oft

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