Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
(Wenn Ihnen beim Thema »betrunkene Deutsche in Spanien« jetzt »Ballermann 6« einfällt, kann ich nichts dafür, die Verbindung ist offensichtlich, es liegen ja nur vierhundert Jahre dazwischen …) Das berühmteste Diktum über die Trinkfreudigkeit der Deutschen stammt von Martin Luther: »Es muß aber jedes Land seinen eigenen Teufel haben. Welschland seinen, Frankreich seinen. Unser teutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß Sauff heißen, der so durstig ist, dass er mit so großem sauffen weins und biers nicht kann gekület werden. Und wird solcher ewiger Durst teutschen Landes Plage bleiben (hab ich Sorg) bis an den jüngsten Tag.«
Dieses Lutherwort vom »teutschen Teufel Sauff« hat das Bild des Reformationszeitalters bis in die Gegenwart geprägt. Tatsächlich entsteht aus den vielen Quellen der Eindruck, die Deutschen hätten sich, wann immer Gelegenheit dazu war, die Kante gegeben. Stellt sich die Frage, wer damals überhaupt nüchtern war.
Ganz sicher nicht der König Wenzel, der Sohn Karls IV., in die Geschichte eingegangen als »Wenzel der Faule«, obwohl »Wenzel der Säufer« viel besser gepasst hätte; ein Herrscher, dessen viele Fehler heute zwanglos mit seiner Trinkerei erklärt werden können. Der Alkoholiker auf dem Thron. Aber diese Bezeichnung hat damals noch nicht existiert; die Zeit hatte keinen Begriff für eine Suchterkrankung. Wenzel, Sohn Kaiser Karls IV. und der Anna von Schweidnitz, wurde 1361 geboren und von klein auf zum Herrscheramt erzogen. Mit siebzehn trat er, gewählter und gekrönter römisch-deutscher König, die Regierung an. Die Zeiten waren kompliziert, Stadtbürger, hoher und niederer Adel lagen miteinander in Fehde, die Kirche war durch das große abendländische Schisma gespalten, es gab einen Papst in Rom und einen zweiten in Avignon. 1398 sollten mit dem französischen König Karl VI. Verhandlungen in Reims stattfinden: Der Franzose hatte den deutschen König dazu eingeladen, in einer gemeinsamen Anstrengung den Skandal, der schon zwanzig Jahre andauerte, zu beenden. Aus den Verhandlungen wurde aber nichts, weil Wenzel am 24. März am großen Festessen mit dem König von Frankreich nicht teilnehmen konnte – er war zu betrunken. Das Schisma dauerte dann noch weitere neunzehn Jahre. In Wenzels Handlungen findet sich alles, was heute den Alkoholiker ausmacht: Arbeitsunfähigkeit, Sprunghaftigkeit, Anfälle rasender Wut. Den Beichtvater seiner Frau, Johan von Pomuk, soll er eigenhändig schwer gefoltert haben. Der Halbtote wurde danach in der Moldau ertränkt und als Märtyrer im 18. Jahrhundert zur Ehre der Altäre erhoben, bis heute wacht der Heilige Nepomuk über die Brücken. Andererseits hatte Wenzel Interesse an Kunst und Literatur, die er förderte, man verdankt ihm die Prachthandschrift der »Wenzelsbibel«, ein Prunkstück der österreichischen Nationalbibliothek. Im August 1400 setzten ihn die Kurfürsten als »unnützlich, träg und für das römische Reich durchaus ungeschickt« ab. Am nächsten Tag wählten sie den Pfalzgrafen Ruprecht zum deutschen König. Wenzel reagierte mit einem alkoholgeschwängerten Wutausbruch: »Ich will das rächen oder will tot sein, ich will ihn totstechen oder er muss mich totstechen!« Passiert ist nichts davon, es setzte nur die Säuferdepression ein; schon wenige Wochen später tröstete er sich selbst damit, dass ihm auch nach dem Verlust Böhmens ja noch drei Schlösser blieben. Diesen Wenzel nahm niemand mehr ernst. Er beharrte auf dem Titel römischer König, stimmte dann nach dem Tod Ruprechts der Wahl seines Bruders Siegmund zu. Er starb erst 1419 an einem Schlaganfall, weil er sich über die Hussiten geärgert hatte.
Ist Wenzel ein tragischer Einzelfall? Tragisch schon, aber kein Einzelfall. Nur seine Stellung und die besondere Ausformung seiner Trunksucht ließen ihn hervorstechen. Wenn er nüchtern war, sei er »umgänglich und leutselig« gewesen. Ach ja. Die Leiter der Entzugsanstalten werden Wenzel von Böhmen viele Beispiele aus neuer Zeit zur Seite stellen können; dieser Typ war und ist so häufig, dass er es bis ins Sprichwort geschafft hat: »Ein Kerl wie Samt und Seide, nur schade, dass er soff.«
Noch einmal die nun ernst gestellte Frage: War damals überhaupt jemand nüchtern? Im heutigen medizinischen Sinn wahrscheinlich nicht. Der Grund war das Wasser. Man konnte es meistens nicht trinken. Das ganze Mittelalter hindurch wird jedes andere Getränk dem Wasser vorgezogen. Für die
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