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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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nach seiner Regierungszeit zugenommen – gönnen wir also dem armen Probus den Ruhm der Nachwelt; er ist ein Lichtblick, eine der wenigen positiven Gestalten des traurigen 3. Jahrhunderts; er wurde, wie damals üblich, von den eigenen Soldaten umgebracht.
    Die Christianisierung der Germanen wurde sicher nicht dadurch behindert, dass die neue Religion dem Wein einen hohen Stellenwert einräumte. Für das Abendmahl war Wein unverzichtbar, es wurde in den frühen Zeiten auch dem Volk in »beiderlei Gestalt« zuteil, man brauchte also schon aus religiösen Gründen erhebliche Mengen. Anfragen aus Nordeuropa, ob man eventuell auch Met oder Bier verwenden könnte, lehnte Rom kategorisch ab. Mit dieser unbedingten Notwendigkeit des Weins hängt eine bizarre Episode aus dem 9. Jahrhundert zusammen, dem finstersten des deutschen Mittelalters. Der Normannenfürst Gottfried hatte sich taufen lassen und Gisla, die Tochter des schon verstorbenen König Lothars II., geheiratet. Damit war er in den Familienverband der Karolinger aufgenommen und verbündete sich 885 mit seinem Schwager Hugo, den seine Großonkel um sein Erbe betrogen hatten, das Mittelreich Lotharingien. Hugo wollte sein Erbe wiederhaben, der mächtige Normannenfürst, nun Herzog von Friesland, stand dabei auf seiner Seite. Der brauchte einen Vorwand, die Kampfhandlungen zu beginnen, und schrieb dem regierenden Kaiser Karl III., dem Großonkel seiner Frau, einen Brief: Als frisch getaufter Christ brauche er jetzt Wein, und zwar nicht zu knapp, in Friesland wachse aber keiner, weshalb ihm der Kaiser, bitte schön, einige seiner besten Weinberge im Rheinland abtreten solle. Diese Frechheit beantwortete der karolingische Hof mit der Aufnahme von Verhandlungen. Gisla wurde in einem Kloster in Sicherheit gebracht, dann gab es ein gemeinsames Gelage (die Normannen waren recht anfällig für Alkohol) – in einem provozierten Streit wurde Gottfried samt seiner ganzen Entourage von Karls oberstem Militärbefehlshaber, dem Babenberger Grafen Heinrich, erschlagen; Mitverschwörer Hugo wurde geblendet und ins Kloster Prüm gesperrt. Eine üble Geschichte, in der Alkohol gleich in zweifacher Hinsicht eine Rolle spielt: als Vorwand für kriegerische Handlungen und als Kriegslist Barbaren gegenüber, die nichts Starkes gewohnt waren.
    Im Lauf der Jahrhunderte entwickelte sich das Alkoholtrinken in mehr oder weniger fest gefügten Formen: Das »Minnetrinken« hat im 10. Jahrhundert noch nichts mit dem Frauendienst zu tun, sondern ist ein rituelles Trinken zu Ehren Verstorbener. Die Kirche hat es wegen der Exzesse von Geistlichen abgelehnt; ein Priester sollte sich bei Totengedenken nicht betrinken, er durfte auch nicht andere dazu auffordern oder sogar zwingen, für die Seelen von Verstorbenen oder zu Ehren von Heiligen zu trinken, und sich nicht auf Bitten anderer volllaufen lassen. Die Ermahnungen heiligmäßig lebender Kirchenmänner wie Hincmar von Reims und anderer deuten das wirkliche Geschehen an: Eben das haben die »Weltpriester« offenbar gemacht, andere zum Trinken gezwungen und sich selber volllaufen lassen. In den Klöstern war man auch nicht abstinent. Im »Reformkloster« Cluny wurde zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit jeden Tag Alkohol getrunken – drei Mal, na klar. Allerdings war die Kirche in diesen Dingen ambivalent. Schließlich hatten die Germanen ihren Göttern Trankopfer dargebracht; wenn man die Heiligen an ihre Stelle setzen wollte, konnte man den populärsten Teil der Verehrung nicht gut streichen, infolgedessen gab es eine Johannisminne zu Ehren des Heiligen Johann, aber auch eine St. Michaels-, St. Stefans-, St. Martins- und St. Ulrichsminne. Das Prinzip ist extrem ausbaufähig, an Heiligen mangelt es nicht, sind die anderen, hier nicht genannten etwa weniger wert? Die Kirche selbst musste einen Riegel vorschieben, sonst hätte der Heiligenkalender buchstäblich jeden Tag die Trunksucht sanktioniert. Das Zu- und Minnetrinken steigerte sich dennoch im Lauf des Mittelalters bis ins 16. Jahrhundert, das als Zeitalter der Völlerei und Sauferei in die Literatur eingegangen ist. Die Deutschen taten sich, wenn man den Quellen glauben darf, dabei besonders hervor. Sie waren auch im Ausland berüchtigt. Kaiser Karl V. stellte seinen spanischen Räten voller Stolz seine deutsche Leibgarde vor: »Sehet, sein die Teutschen nicht wackere, starke, ansehnliche, gerade Männer?« Einer der Räte antwortete: »Es ist wahr, wenn sie nur nicht so sehr söffen!«

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