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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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einen Stoff, wo der Stickstoff im Ring selber einen Kohlenstoff ersetzt? Gibt’s. Sieht so aus:

    Und heißt Pyridin. 1849 hat es ein Herr namens Anderson durch Destillation von Knochenöl erhalten. (Auf Ideen kommen die Leute … Knochenöl, wie das stinkt!) – Na, und zwei Stickstoffatome im Sechserring, gibt’s das auch?
    Voila!

    Es gibt auch welche mit drei oder vier Stickstoffatomen, was uns hier nicht interessiert – was wir aber brauchen, ist jetzt noch ein Fünferring mit zwei Stickstoffen:

    Das Ding heißt Imidazol . Auch da gibt es noch eine andere Form, bei der die Stickstoffe direkt nebeneinander stehen – aber uns interessiert jetzt nur das Imidazol : das »leimen« wir jetzt mit seiner linken Seite an die rechte Seite des Pyrimidins :

    Schon wieder was Neues: Das Ding nennt sich Purin. Spielerei? Kann man so nennen: Spielerei der Natur. Die Evolution des Lebens hat sich nämlich vor vier Milliarden Jahren dafür entschieden, dass aus Abkömmlingen (Derivaten) von Pyrimidin und Purin fortan der »Bauplan des Lebens« aufgebaut werden soll, die berühmte DNS (Desoxyribonucleinsäure) , und zwar zusammen mit einem Zucker und einer ordentlichen Portion Phosphorsäure; und zwar vom hinterletzten Archäbakterium bis zur Krone der Schöpfung immer dieselben Substanzen, nämlich die Genossen Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil – aber die lassen wir jetzt beiseite und fragen nur, was man am Purin noch verändern könnte. Zum Beispiel könnte man die restlichen Kohlenstoffatome oxidieren lassen, also mit Sauerstoff verbinden. Davon gibt es noch genau drei (die beiden in der Mitte nicht – wenn man die auch oxidiert, fällt das Molekül auseinander, und das wollen wir doch nicht). Führen wir die Oxidation aber an den zwei im Sechserring durch – dann haben wir das schon erwähnte Xanthin:

    Was geht jetzt noch – systematisch? Man könnte jetzt wieder außen herum etwas verschönern und die Wasserstoffatome zum Beispiel durch Methylgruppen ersetzen. Macht man das bei allen dreien, ergibt sich der Ausgangspunkt unserer Reise: Coffein.

    Das Ersetzen und Anleimen sind hier rein formale Begriffe, die dazu dienen, sich zu merken, wie die Substanzen strukturell zusammenhängen. Es ist eine Sache auf dem Papier. Die tatsächliche Synthese dieser Verbindungen geht in aller Regel ganz andere Wege – der Unterschied ist ähnlich wie der zwischen einer Architekturzeichnung und der physischen Errichtung eines Gebäudes; Schalen, Betonieren, Mauern, Verputzen und so weiter. Wie man jedenfalls sieht, ist Coffein mit wichtigen Molekülen der Evolution des Lebens auf diesem Planeten verwandt. Die Wirkung des Coffeins hängt ganz eng mit seiner Struktur zusammen. Es gleicht dem Adenosin , das im Zellstoffwechsel eine wichtige Rolle spielt.

    Der rechte obere Teil wäre das schon erwähnte Adenin , ein Purin mit angehängter Aminogruppe. Der linke untere Teil ist ein Zucker, die Ribose. Das Adenosin ist nicht nur Bestandteil einer der vier Buchstaben, aus denen der genetische Code besteht, sondern hat gewissermaßen noch einen Nebenjob: Es lagert sich bei Nervenzellen an bestimmte Stellen (Rezeptoren) an, was etwa die Wirkung hat »jetzt macht mal halblang«, also eine Dämpfung der Aktivität. Coffein passt auf dieselben Rezeptoren und blockiert sie dadurch für das Adenosin – aber eine dämpfende Wirkung hat das nicht; das Adenosin kann seine beruhigende Wirkung nicht ausüben, die Folge ist jene angenehme Erregung, die alle Coffeinliebhaber suchen. Plus die unangenehmeren Begleiterscheinungen bei Überdosierung wie Schlaflosigkeit, Nervosität. Das Coffein spielt seine Rolle also aufgrund der Tatsache, dass die Natur an der Purinstruktur einen Narren gefressen hat und diese an wichtigen wie weniger wichtigen Stellen des Organismus zum Zuge kommt. Die universelle »Energiewährung« der Zelle, das Adenosintriphosphat , besteht zum Beispiel aus Adenosin und drei angehängten Molekülen Phosphorsäure. Wenn etwas der Natur so wichtig ist, sollte es uns das auch sein – deshalb dieser kleine Exkurs in die Strukturen.
    Der Erste, der Coffein in reiner Form in Händen hatte, war der aus dem Anilin-Kapitel bekannte Friedlieb Ferdinand Runge. 1820 erhitzte er Kaffeebohnen und fing den dabei entstehenden Dampf auf. Angestiftet dazu hatte ihn der Geheimrat Goethe, auch eine Schachtel mit Kaffeebohnen hatte er ihm zur Analyse überlassen. Der junge Runge schrieb an der Universität Jena seine Dissertation über die

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