Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
frühen 17. Jahrhundert Kaffeetrinker mit dem Tode bestrafen; ebenso verboten waren Wein, Opium und Tabak. Kaffeehäuser tarnten sich als Barbierläden. Der Kaffee setzte sich in der islamischen Welt aber doch allmählich durch, weil die Menschen ihn gern tranken.
Der Siegeszug des Kaffees durch die ganze Welt setzt nach der zweiten, ebenso häufig wie die mit den putzmunteren äthiopischen Ziegen kolportierten Legende mit dem Abzug der Türken nach der gescheiterten Belagerung von Wien ein. 1683 war das; der polnische Spion Georg Franz Kolschitzky soll sich als Belohnung für geleistete Kurierdienste aus der ungeheuren Türkenbeute fünfhundert Sack Kaffeebohnen erbeten und 1686 das erste Wiener Kaffeehaus eröffnet haben. »Zur blauen Flasche« hat es geheißen – hier stock ich schon, was hat bitte eine blaue Flasche mit Kaffee zu tun? Die Sache ist ebenso legendär wie der Ursprung der Krapfen – erfunden von einer Wiener Bäckerin mit Namen, jawohl, Cäcilie Krapf. Nicht legendär, sondern urkundlich belegt ist die Gründung des ersten Kaffeehauses in Wien durch den Griechen Johannes Theodat am 17. 1. 1685 in der heutigen Rotenturmstraße 14. Bis 1700 folgten weitere 4 »Privilegien« für Kaffeehäuser, 1804 gab es davon 89, nach dem Wiener Kongress stieg die Zahl auf 150 – um 1900 schließlich auf 600! Den Höhepunkt erreichte Wien 1938 mit 1283 Kaffeehäusern, die Zahl nahm bis in die neunziger Jahre dann wieder auf 584 ab. – Allerdings war Wien nicht die Geburtsstätte des Kaffeehauses. Solche gab es schon Jahrzehnte früher in Venedig, London, Marseille und Paris. Auch in Norddeutschland war der Kaffee schon vor 1685 verbreitet, aber es kommt nicht darauf an, wo nun genau die ersten Kaffeehäuser ihre Pforten öffneten. Wichtig ist vielmehr, dass nach dem Dreißigjährigen Krieg gegen Ende des 17. Jahrhunderts bei den Genussmitteln einsetzt, was man heute einen Paradigmenwechsel nennt: Tee und Kaffee lösen allmählich den Dauerkonsum alkoholischer Getränke ab. Das ist nicht einfach der Übergang vom Kalt- zum Heißgetränk, sondern er geht auch mit einem Mentalitätswechsel einher.
Die Eliten werden nüchtern.
Nicht dauernd und für immer, aber doch für beträchtliche Spannen der Tages- und Nachtzeit. Die Wirkung auf die Stimmung, auf Fühlen und Denken sind dramatisch. Alkohol ist ein Betäubungsmittel, Coffein wirkt anregend. Alkohol schläfert ein, Coffein weckt auf. Europa wird wach. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Man könnte leicht die Errungenschaften der Moderne, den Fortschritt in den Wissenschaften, das Aufblühen der Mathematik, besonders aber das Entstehen politischer Emanzipationsbewegungen mit dem Konsum coffeinhaltiger Getränke in Zusammenhang bringen. Aber so einfach scheint der Zusammenhang dann doch wieder nicht zu sein: Die Renaissance als erste Blüte des europäischen Individualismus und der Selbstbestimmung hatte ihre Hochzeit noch in finsteren alkoholischen Zeiten; die bedeutendsten Kunstwerke des Abendlandes wurden unter der Herrschaft von Wein und Bier geschaffen. Wenn man den ersten Höhepunkt bürgerlicher Emanzipation in der Tötung des Königs erblicken will, so reicht dieses Ereignis, die Hinrichtung Charles I. im Jahre 1649, nur knapp an das beginnende Coffeinzeitalter heran: Das erste Londoner Kaffeehaus hat erst drei Jahre später aufgemacht; Kaffee oder Tee haben bei diesem Todesurteil schwerlich Einfluss ausgeübt. René Descartes starb 1650; er nahm auf katholischer Seite am »Deutschen Krieg« teil, hat sich später erfolgreich duelliert. Außerdem die analytische Geometrie begründet, die Philosophie erneuert und so weiter. Kaffee getrunken hat er nicht.
Die große Zeit des Kaffees beginnt mit dem 18. Jahrhundert. Er wird zum Getränk der Aufklärung, des aufstrebenden Bürgertums, das Kaffeehaus zum eigentlichen Ort seiner Emanzipation. In den Hauptstädten Europas entstehen berühmte Kaffeehäuser, die zum Teil noch heute existieren. Von dort dringt das schwarze Gebräu in den häuslichen Bereich vor; die Konsumgewohnheiten ändern sich. Zum Frühstück Kaffee zu trinken, erscheint uns Abendländern ganz natürlich, Debatten entstehen zwischen den Nationen nur über die Art der Zubereitung. Bis ins 18. Jahrhun dert begann der Tag noch nach Sitte des Mittelalters mit einer Biersuppe oder Brot und Schinken, dazu wurde selbstverständlich Wein oder Bier getrunken, der mehr oder weniger milde Rausch des Vortags »aufgewärmt«. Könnten wir in
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