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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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noch etwas Zeit ließ.
    Die Gäste hatten sich wieder vollzählig in dem großen Speisezimmer versammelt. Man stand in kleinen Gruppen beisammen, fragte sich, was man hier noch sollte und traute sich doch nicht, sich zu verabschieden und damit den allgemeinen Aufbruch auszulösen. Außerdem war man neugierig. Jeder wußte, daß Nedomanskis Verwandte einander nicht grün waren. Wann würden sie die Beherrschung verlieren und sich dramatische Wortgefechte liefern? Es war fast allen bekannt, daß Martina die Geliebte Nedomanskis war. Wann würde Maria Nedomanski auf sie losgehen? Ob sich Guido und Walter Nedomanski wegen der Führung der NEDO-Werke in die Haare gerieten?
    Borkenhagen schlenderte von Gruppe zu Gruppe und hörte überall das gleiche. Man sprach vom Tod.
    „… im Juni 1945 gestorben; wir haben ihn auf dem Handwagen zum Friedhof gefahren. Der Sarg aus Kistenbrettern…“
    „… da hat auch der Pneumothorax nichts mehr geholfen; nach einem Jahr war er tot.“
    „Sie wußte, daß sie multiple Sklerose hatte. Sie konnte nicht mehr richtig sprechen, die Hände zitterten, ihr war andauernd schwindlig. Letzten März ist sie dann gestorben.“
    „… wacht morgens auf und wundert sich, warum ihr Mann noch nicht aufgestanden ist. Sie sagt was zu ihm, er stöhnt nur etwas. Sie macht Licht an, da ist er schon tot. Herzschlag!“
    „Na, Nedomanski hat’s überstanden; wer weiß, was auf uns noch alles zukommt.“
    Jetzt könnte er bald kommen, dachte Borkenhagen.
    Walter Nedomanski war schon dabei, in Gedanken die Anzeige zu formulieren. Vielleicht konnte man den Text noch heute abend durchgeben…
    „Was nehmen wir denn für Zeitungen?“ fragte Walter Nedomanski.
    Maria Nedomanski überlegte. „Auf alle Fälle den Tagesspiegel , dann die FAZ, die Welt und die Süddeutsche – das reicht wohl.“
    „Und was für ‘n Institut?“
    „Grieneisen.“
    „Kommst du mit, den Sarg aussuchen?“
    „Ja. Gehen wir gleich morgen früh.“
    „Hat Dr. Hartmann noch keinen Totenschein ausgestellt?“
    „Nein, er hat kein Formular bei sich; er bringt ihn morgen früh vorbei.“
    „Wollen wir schreiben: Die Trauerfeier findet im engsten Familienkreis statt?“
    „Nein, laß sie nur alle kommen. Das kostet sie Zeit. Außerdem, er hat es ja geliebt, im Mittelpunkt zu stehen. Das einzige, was er geliebt hat…“
    „Und die Traueranzeige, die wir als Familie drucken lassen?“
    „Da kommt auf alle Fälle rein: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen.“
    „Wer soll denn mein Nachfolger in der Firma werden, wenn ich dann auf seinem Stuhl sitze?“
    „Schuhmacher – oder? Das ist doch der Tüchtigste. Kein Abend, an dem er nicht bis neun in der Firma hockt.“
    „Okay!“ Walter nickte. „Wann willst du denn die Leute nach Hause schicken?“
    „Wenn ihnen der Gesprächsstoff ausgegangen ist. Dreyer soll ihnen was zu trinken bringen – geh, such ihn mal bitte.“
    Walter Nedomanski drehte sich um und stieß mit Borkenhagen zusammen. „Pardon“, murmelte er.
    „Oh, bitte…“ Borkenhagen sah ihn an. Er sah scharlachrote Flecken auf gelblicher, mit winzigen Schweißperlen bedeckter Haut, sah unruhige, kalte Möwenaugen, die hinter dicken Brillengläsern auseinanderzufließen schienen – ein Gesicht von faszinierender Häßlichkeit… Mein Gott, ist der verwirrt, dachte Borkenhagen: hoffentlich bekommt er keinen Herzschlag, wenn sein Bruder wieder auftaucht! Er trat zur nächsten Gruppe.
    Vier, fünf Gäste lauschten den Worten des bekannten Parteipolitikers, unter ihnen Guido und Martina.
    „… uns stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden und mußte nun von uns gehen, ohne vorher erlebt zu haben, daß seine hohen Ziele noch Wirklichkeit wurden…“ Er hustete und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Tja, der Tod: Gestern noch auf stolzen Rossen… Wie sagt doch ein altes chinesisches Sprichwort: Es ist immer später als du denkst! Aber was hilft’s…? Max, Nedo, was haben wir für schöne Stunden miteinander verbracht! Unsere Skatabende. Wir haben immer wie die Chinesen gesprochen – Obel, blingen Sie uns bitte dlei Gläsel mit lotem Maltini – , und wer ein r mitsprach, der mußte die Lage bezahlen. Na, und dann die Reise nach Paris; Nina und Michele… Ach ja: leuchtende Tage; nicht weinen, daß sie vergangen, sondern lachen, daß sie gewesen…“
    Jetzt könnte Nedomanski langsam kommen, dachte Borkenhagen; jetzt hat sich auch jemand gefunden, der ihn mag… Er sah, daß die ersten Gäste

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