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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Fenster zu – vielleicht baute er auf den Überraschungseffekt.
    Aber nun hatte sich Borkenhagen wieder aufgerappelt. Mit einem wilden Hechtsprung konnte er Pokerface an den Füßen packen, als der sich nun doch aufs Fensterbrett schwingen wollte. Es begann ein lautloser und verbissener Kampf.
     
     
    Na endlich! Endlich passiert was. Und ganz geschickt macht er das, der Borkenhagen: Er kann ja unmöglich überall dabei gewesen sein, er rekonstruiert – aber es geht ohne Bruch… Na, fast ohne Bruch.
    Meine Frau läßt sich Badewasser ein, und ich blicke einen Augenblick von Borkenhagens schludrig getipptem Manuskript hoch, um meine leicht brennenden Augen auszuruhen. Mein Blick bleibt auf dem van Gogh-Druck haften, den ich mir vor einigen Tagen neben meinem Schreibtisch an die Wand geklebt habe. Einfach mit vier Streifen Tesa-Film. Er hat bei Hertie fünf Mark gekostet und zeigt einen blühenden Pfirsichbaum. Das Original ist 1888 in Arles entstanden, 73 x 59,5 cm groß und hängt im Kröller-Müller-Museum in Otterlo… Ja, ich habe mich einige Stunden lang mit dem großen Brabanter beschäftigen müssen, um bei meinen Recherchen weiterzukommen. Dieser luftig-beschwingte Pfirsichbaum spielt in meinem Tatsachenbericht eine nicht unwesentliche Rolle. Das müßte ich dem Leser irgendwann mal klarmachen. Aber es paßt nirgends hin… Es ist schon ein verdammter Mist mit dieser Story! Aber sie läßt mich nicht mehr los.
    Hm… Es ist bald 22 Uhr, und wenn ich so weitermache, sitze ich noch die ganze Nacht hier. Also her mit Borkenhagens nächstem Kapitel!
     
     
    Pokerface war entkommen.
    Borkenhagen hatte es zwar fertiggebracht, dem Einbrecher die Beute wieder abzujagen, denn die Tasche mit dem Diebesgut wurde neben Nedomanskis Schreibtisch gefunden, es war ihm aber nicht gelungen, den Ganoven an der Flucht zu hindern. Nach einem wilden Ringkampf hatte ihn ein Faustschlag in die Magengrube für Sekunden mattgesetzt, und er hatte mitansehen müssen, wie Pokerface aus dem Fenster gehechtet war.
    Walter Nedomanski hatte einen Funkwagen herbeigerufen, aber die beiden Beamten hatten auch nichts weiter unternehmen können. Bis zum Erscheinen der Kriminalpolizei würde noch eine Weile vergehen; man hatte auch im Augenblick wichtigere Dinge zu erledigen.
    Die defekte Glühbirne war inzwischen von beherzten Männern ausgewechselt worden, und eine rasch in der Nachbarschaft ausgeliehene Sicherung sorgte für ausreichende Helligkeit in allen Räumen. Allzu festliche Beleuchtung ziemte sich für ein Trauerhaus ohnehin nicht.
    Borkenhagen war es gar nicht recht, daß alles so gekommen war. Sie hatten bei ihrem Plan vorausgesetzt, daß die Nachricht vom Tode Nedomanskis die Gäste betroffen, zumindest nachdenklich machen und in eine entsprechende Stimmung versetzen würde, in der der »Tote« in den Mittelpunkt ihrer Gedanken rückte. Nun aber hatten Maria Nedomanskis Sturz, der Stromausfall und der Einbruch völlig von Nedomanski abgelenkt. Borkenhagen erkannte, daß es einiger Minuten bedurfte, ehe die Nähe des Todes von neuem zu den erwarteten Reaktionen und Verhaltensweisen führen würde: vor dem Gesicht die Trauermaske, im Mund Phrasen und Zynismen, im Kopf die Erkenntnis, daß man sich eigentlich erleichtert fühlte, höchstens hier und da Ärger über ein nicht abgewickeltes Geschäft, einen nicht unterschriebenen Vertrag… Alles, nur kein echtes Gefühl, keine Wärme, keine Trauer.
    Ein Druck auf den Knopf, und das gespeicherte Programm lief ab – das Programm Angemessenes Verhalten beim Ableben eines beneideten und verhaßten Verwandten oder Bekannten. Verpflichtung der Witwe und den anderen gegenüber, Chance zur eigenen Entlastung von angestauten Aggressionen, Schadenfreude, Distanzierung vom Geschehen. Und dabei ein mehr oder weniger schlechtes Gewissen, denn es gab nichts, das echt war – keinen Schmerz, kein Mitleid, keine Tränen, keinen tiefempfundenen Dank. Alles fehlte, was einem das Gefühl eigener menschlicher Größe oder auch nur Anständigkeit hätte vermitteln können. Von den sogenannten hohen Werten, die Schule, Elternhaus und Kirche einem eingepflanzt hatten, war auf einmal nichts mehr übriggeblieben. Gott und der Gesellschaft gegenüber war man schuldig geworden – und man verdrängte es.
    In diese Stimmung hatte Max Nedomanski hineinplatzen wollen, um Scham und Entsetzen zu verbreiten, sich zu rächen und zugleich seine Gäste zu quälen und zu foppen. Borkenhagen hoffte nur, daß er sich

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