Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
dessen Zuständigkeitsbereich der Tod des Verstorbenen festgestellt wurde, der Schein mit den standesamtlichen Urkunden vorzulegen… Aber woher sollte er wissen, daß Nedomanski wirklich abkratzen würde? Ein Königreich für ein Formular!
Er hockt im Coupe 77 und hat einen Fetzen des Tagesspiegel vor sich liegen. Wenn er ein Formular hätte, ginge alles glatt über die Bühne. Kein Schwein würde was merken. Aber wie hätte er ahnen sollen. Hinterher ist man immer klüger.
Er sitzt an einem Vierertisch. Es sieht hier aus wie in einem alten Eisenbahnwaggon. Schilder, Lampen, Fenster, Edelholzverkleidung – alles echt oder gut imitiert. Wenn der Zug bloß fahren würde. Weg von hier, weg von Berlin. Ein Ehepaar sitzt mit am Tisch, Büromöbelhändler, sie hat eine Freundin mitgebracht. Die Musik ist fürchterlich laut. Die Freundin heißt Britta, das hat er schon mitbekommen. Sie trägt einen kurzen Kordrock und zeigt viel Schenkel. Er fordert sie zum Tanzen auf. Sie ist sehr anschmiegsam. Ihm wird schwindlig, in den Ohren rauscht es, alles dreht sich, er fährt Kettenkarussell. Sie ist Fräulein Inspektor, außerplanmäßig, beim Senator für Inneres. Er denkt nur immer: Nedomanski ist tot. Nedomanski ist tot. Nedomanski ist tot. Er hat ihm noch die Augen zugedrückt. Britta sorgt dafür, daß sein rechtes Knie ab und zu zwischen ihre Schenkel gerät, doch, es ist ihm egal. Würde Nedomanski noch leben, wenn er das makabere Spiel nicht mitgemacht hätte? War er schuld an allem?
„Gott, ist mir schlecht!“
„Wenn’s schlecht dir geht, nimm NEDO-Med!“
„Bitte?“ Britta ist erstaunt.
„Ach, entschuldigen Sie…“
Seine Stimme ist ihm fremd, klingt schrill und viel zu hell, kommt aus weiter Ferne. Kein Zweifel, sie will ihn mit nach Hause nehmen. Lieb von ihr. Aber heute nicht. Nedomanski ist tot. Er zahlt, auch für sie, und verläßt die Bar. Die Luft draußen ist kühl. Ein paar Autos, Taxis zumeist. Wenige Passanten. Im Osten dämmert es schon. Nedomanski ist tot.
Er geht. Er geht. Er geht. Nedomanski ist tot.
Ist er gestorben, von allein, durch die Aufregung?
Hat er Selbstmord begangen?
Ist er ermordet worden?
Wird man ihm, Borkenhagen, den Mord in die Schuhe schieben?
Ist er zur Anzeige verpflichtet?
Soll er einen Leichenschein fälschen, soll er irgendwo in eine Praxis einbrechen und einen stehlen?
Rote Ampeln, rote Punkte, rote Kreise, rot wie Blut, tiefrot. Grüne Ampeln, grüne Punkte, grüne Kreise. Orange und gelb. Müde Lichtreklamen. Schlußlichter. Farben fließen durcheinander, zerplatzen; es tut weh.
Er überquert einen Fahrdamm. Da liegt eine zermalmte Taube. Federn, Blut und Knochen… Bremsen quietschen; er springt nach vorn.
Verdammte Scheiße, da hast du dich ja auf was Schönes eingelassen!
Morgen früh, heute früh… Nedomanskis Villa. Sie warten auf ihn und den Leichenschein. Er kommt nicht. Es wird 11 Uhr. Er ist noch immer nicht da. Sie suchen im Telefonbuch nach einem Dr. Hartmann, sie rufen im Klinikum an. Auch nichts. Langsam durchschauen sie den Schwindel. Nächster Anruf: Kriminalpolizei. Die Maschinerie setzt sich in Bewegung. Gesucht wird… Mordverdacht! Und nun bittet die Kriminalpolizei um Ihre Mitarbeit …
Geh und stell dich, sag ihnen alles!
Geh nicht – die behalten dich gleich da.
Er hat im StGB nachgesehen, § 132a. Wer unbefugt inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, Titel oder Würden führt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Er hatte es ja gewußt, aber Nedomanski hatte es verstanden, seine Bedenken zu zerstreuen: Ist doch alles bloß ein Spiel … Der hat ausgespielt.
Mordverdacht.
Warum gerade ich? Verhöre, Scheinwerfer, bohrende Fragen, anmaßende Beamte. Ach, Publizistik studieren Sie? Wer einen Bart trägt, ist links und infolgedessen schon von vornherein verdächtig.
Olivaer Platz. Er sitzt auf einer Bank. Es ist kühl; er fröstelt. Die Sonne geht auf, Amseln beginnen zu singen. Und Nedomanski ist wirklich tot. Eine Nutte steigt in ein Taxi. Ist es nicht die, mit der Nedomanski aus der Pension gekommen ist? Vielleicht. Na und? Ein Kunde weniger; davon wird die nicht arm… Busse fahren vorbei, noch leer; nur ein paar verschlafene Gesichter im Unterdeck. Die ersten Männer mit Aktentaschen.
Er hat heiße Augen und Sodbrennen. Er merkt, daß er nach Schweiß riecht… Justizirrtümer hat es immer gegeben. Wenn es denen gelingt, ihm einen Mord
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