Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
Demokratische Republik“, las er, „Werke russischer und sowjetischer Malerei…“
„Von einer Kusine aus Dresden“, sagte ich.
„Eine hübsche Marke… Darf ich sie behalten?“
„Bitte – natürlich!“
„Ich sammle nämlich Marken mit Gemäldemotiven, müssen Sie wissen…“ Er fing an, über Briefmarken zu sprechen, über Gemälde, über Maler. Er sprach über Kunst. Es war, als hätte er alles vergessen – den Mord an seinem Bruder, den Zweck meines Besuchs; er sprach sachverständig und, wie immer, druckreif.
Als ich ihm sagte, daß ich vor Jahren ein Buch über die großen Kunstfälscher veröffentlicht hatte, gerieten wir in eine temperamentvolle Diskussion über den umstrittenen Berliner van Gogh-Fälscher Otto Wacker. Walter Nedomanski war überraschenderweise der Ansicht, die von Wacker präsentierten van Gogh-Gemälde wären echt und bezog sich dabei auf Meier-Graefe und den holländischen Experten Bremmer, während ich immer wieder den Amsterdamer Kunst- und Fälscherexperten van Dantzig zitierte: Wer die Lebensgeschichte van Goghs kennt, der weiß, daß sich kein Künstler so gut dazu eignet, gefälscht zu werden. Denn van Gogh hatte an vielen Orten gemalt und seine Bilder irgendwo liegengelassen oder sie Freunden gegeben. Kurz und gut, wir konnten uns nicht einigen, aber dieser Disput brach alles Eis zwischen uns.
„Apropos Malerei…“ Walter Nedomanski war noch etwas eingefallen. „Wußten Sie, daß die Villa in der Badenallee einem bekannten Kunstsammler gehört hat, bevor Max sie gegen Ende des Krieges gekauft hat?“
„Nein – woher sollte ich?“
„Professor Ernst Schierbaum – bekannt vor allem durch seine Interpretationen hinduistischer Bildwerke.“
„Interessant…“
„Aber nun wollen Sie sicherlich Ihr Material zum Fall Max Nedomanski zusammentragen…“ Er griff sich seinen Mörser und begann die darin befindliche Zigarettenasche zu zerstoßen.
„Wenn Sie mir vielleicht etwas von sich und Ihrem Verhältnis zu Ihrem Bruder erzählen könnten?“
Er nickte bedächtig. „Ja… Geboren wurde ich am 24. Oktober 1912 in Pritzwalk, Ost-Priegnitz. Mein Vater war dort Eigentümer der Kurfürsten-Apotheke. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ging er nach Berlin, um dort eine kleine pharmazeutische Fabrik zu eröffnen; Brandsalben, Augentropfen, Hustensäfte und ähnliches. Es ging ihm anfangs nicht besonders gut, und wir wohnten jahrelang im Hinterhof einer üblichen Mietskaserne. Meine Mutter starb, und ein knappes Jahr später heiratete er wieder – eine stämmige, resolute, herrschsüchtige Frau mit einer neurotischen Abneigung gegen alles Krankhafte, Unschöne, Verwachsene… Das weitere können Sie sich wohl denken. Max wurde geboren, ein gesundes, kräftiges Kind. Meine Rolle war von nun an fest umschrieben: ich hatte sein Domestik und sein Prügelknabe zu sein, ich hatte ihm zu dienen und seine Aggressionen aufzufangen. Ich überlebte wohl nur, weil ich gelernt hatte, zu träumen…“ Er schwieg.
„Das muß bitter gewesen sein“, murmelte ich.
Er goß sich einen zweiten Magenbitter ein und stürzte ihn hinunter. Während er eine Schachfigur nach der anderen aus einer silbernen Dose nahm und auf dem Brett aufbaute, fuhr er fort: „Ich wurde der Kleine Muck, sein Hofnarr. Die Späße, die er über mich machte, unterhielten die ganze Korona. Hatte ich mir ein Buch aus dem Schrank geholt, dann wollte er partout in dieser Sekunde dasselbe Buch lesen – und er prügelte es mir aus der Hand. Sein Recht war das Recht des Stärkeren. Seine Mutter hielt das für nur allzu natürlich. Unser Vater hatte genug mit Inflation und Wirtschaftskrisen zu tun. Ja…“
„Und Sie sind nie von ihm losgekommen?“
„Haß und Demütigungen sind immer noch besser als die absolute Einsamkeit… Das habe ich mir zumindest eingeredet. Vielleicht war es nur Schwäche – zum Teil jedenfalls. Immerhin bin auch ich ein soziales Wesen; ich brauche einen Menschen, der an mich gebunden ist, an den ich gebunden bin – und wenn es ein Max Nedomanski ist. Ich habe ihn mit aller Kraft gehaßt; ich hätte ihn oft töten mögen, aber ich habe ihn gebraucht. Ich war Pharmazeut geworden; so konnte ich ihn später zwingen, mich in seinem Werk arbeiten zu lassen. Er mußte mich nehmen; wer hätte mich sonst genommen, mich…?“ Er hielt inne, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
„Aber sein Tod ist Ihre Chance“, sagte ich provozierend.
Er lächelte müde. „Es kommt immer
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