Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
dafür sind wir da…“ Haß. Verzerrtes Gesicht. Höhnisches Lachen: „Aber denen hab ich’s gezeigt! Die Schränke hab ich denen ausgeräumt, den Hurenböcken!“ Pause. „Und jetzt kriegen sie mich an ‘n Arsch…“
Die Funkwagen halten sich zurück. Wollen Borkenhagen nicht gefährden. Reger Funkverkehr. Taxifahrer jagen mit.
Raabe rast die Hasenheide hinunter. Karstadt, Neue Welt, Ballhaus Resi. Vor ihnen der Südstern. Steil aufragende Kirchtürme.
Borkenhagen schließt die Augen. Ist alles nur ein Traum. Ich liege besoffen im Bett… Er rafft sich auf: „Mach keinen Quatsch – halt an! Du hast doch keine Chance mehr.“
„Du halt die Schnauze! Wärste mir nicht dazwischengekommen… Du hast die Bullen erst auf meine Spur gebracht! Nu sitzte mit in der Tinte!“ Schadenfreude.
„Hat doch keinen Zweck, Mann! Du kommst nicht weit!“
„Bis zum nächsten Baum komm ich immer!“ Schrilles Lachen.
Borkenhagen zittert. Angst. Todesangst. Ganz plötzlich. Raabe ist zu allem fähig.
„Lebendig kriegen die mich nich! Zwanzig Jahre Tegel – nee! Nich mit mir!“ Er keucht.
Kurve. Borkenhagen wird gegen die Tür gedrückt. Rausfallen lassen? Selbstmord. Raabe fährt hundert. Was tun? Reden! „Wenn du jetzt abkratzt, kriegen die den richtigen Mörder doch nie!“
„Na und?“ Aber Raabe ist beeindruckt. Denkt nach. Entscheidet sich. „Ach was – mir glaubt ja doch keiner. Mein Alter hat drei Jahre lang gesessen, meine Mutter war registriert. Mir nehm se das nich ab, Mann! Guck doch mal in die Zeitung – für die bin ick jetzt schon der Mörder!“
„Ich helf dir vor Gericht…“
„Du kannst mir viel erzählen.“
„Ich schwör’s dir!“
„Uff deine Schwüre scheiß ick!“
Gneisenaustraße. Lang. Breit. Promenade in der Mitte. U-Bahn-Eingänge. Zwei Funkwagen dicht hinter ihnen.
Raabe wimmert fast. „Ich hab ihn nich umgebracht! Ich war im Zimmer, ja. Ich dachte, der schläft da. Ich wollte zum Nachttisch, da fährt er hoch. Ich hinter ‘n Vorhang… Er hat mich nich bemerkt, bestimmt nich. Ich hab ihm nichts getan! Ich wußte doch gar nich, wer da liegt. Ich kannte Nedomanski ja gar nich! Ich wollte warten, bis… Verdammt!“
Zwei Funkwagen von vorn, stellen sich quer. Raabe reißt den Kadett nach rechts. Sie werden hochgeschleudert; preschen über den Bürgersteig, erreichen – Rrrumms! – wieder die Fahrbahn.
Borkenhagen zittert. Der macht weiß Gott ernst und… Keine Chance für Raabe – keine Chance für ihn.
Raabe flüstert seinen Vers: „Mich kriegt ihr nich. Nich lebendig…“
Ein Knick im Straßenzug. Yorckstraße. Yorck von Wartenburg. Tauroggen… Blöde Assoziationen. Borkenhagen verzieht das Gesicht. Sind das die Sekunden vor dem Tod? Warum gerade hier, warum gerade jetzt? Nein! Nein! Borkenhagen betet.
Stuckfassaden. Er sieht durch die Wände hindurch. Menschen trinken Kaffee. Sehen fern. Unterhalten sich, bumsen. Und er soll sterben. Wegen diesem Idioten da! Aufschießender Haß. Er will sich auf Raabe stürzen, egal, was passiert… Aber er kauert auf dem Sitz wie gelähmt.
S-Bahnunterführung. Ein halbes Dutzend Brücken überspannt die Straße. Gelb geklinkerte Wände. Eine Schlucht. Runde, altmodische Pfeiler, gußeiserne Säulen.
Raabe visiert die erste Säule an. Er zieht den Wagen nach rechts und tritt das Gaspedal durch.
Komisch – liest sich eigentlich ganz gut. Dabei sollten das nur Stichworte sein. Eine Skizze, die ich später ausarbeiten wollte. Aber wozu ausarbeiten? Ich habe ohnehin schon ein paar Kilo beschriebenes Papier zuviel…
Es geht schon auf drei. Soll ich Schluß machen? Soll ich versuchen, den Chef breitzuschlagen, daß er doch eine Serie macht? Macht er aber nie. Ist ja auch der reinste Roman. Na, mal sehen; in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister… Wo geht’s denn weiter? Am besten… Ja. Mein Bericht von dem Besuch bei Walter Nedomanski.
Knapp drei Stunden nachdem Raabe mit Borkenhagen durch Berlin gerast war, machte ich mich auf den Weg zu Walter Nedomanski. Ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem dramatischen Geschehen in der Innenstadt.
Der frischgebackene Chef der NEDO-Werke hatte sich in den wenigen Tagen seit dem Tod seines Bruders noch keine standesgemäße Unterkunft beschaffen können und wohnte wie zuvor sehr bieder im Waidmannsluster Einfamilienhaus, ungefähr zehn Autominuten von Tegel entfernt. Ich kenne mich da draußen nicht so gut aus und mußte eine Weile suchen,
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