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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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ehe ich es fand.
    Walter Nedomanskis einstöckiges Haus unterschied sich von seinen unscheinbaren Nachbarn nur dadurch, daß es, von zwei gewaltigen Birken flankiert, noch unscheinbarer wirkte. Am Zaun welkten Feuerbohnen. Wenn mir auf mein Schellen ein unrasierter Kleinrentner in Filzlatschen geöffnet hätte, wäre ich nicht weiter erstaunt gewesen.
    Walter Nedomanski war rasiert und hatte Schuhe an. Er geleitete mich in eine winzige Diele. Eine moosgrüne Tapete schluckte das Licht einer Fünfzehn-Watt-Birne. Der Bügel, den er mir anbot, war aus rohem Holz und trug die Aufschrift Testorp wäscht und reinigt – 62 03 81. Ich hängte meinen Regenmantel auf und folgte ihm ins Wohnzimmer.
    „Nehmen Sie bitte Platz“, sagte er mit einem unterkühlten Lächeln. „Vielleicht behagt Ihnen der Ledersessel dort am Fenster… Darf ich Ihnen vielleicht etwas zu trinken anbieten?“
    „Ja, gern.“
    „Ich bin – wie Sie ja sicher wissen – noch ein alter Apotheker von echtem Schrot und Korn. Und dort, wo ich mein Praktikum absolviert habe, in Eberswalde in der Mark, da verstand man es in unseren Kreisen ganz vortrefflich, einen guten Tropfen zu destillieren. Wenn Sie gestatten, serviere ich Ihnen einen selbst angesetzten Magenbitter.“
    „Da sage ich nicht nein.“
    Er ging hinaus, um Flasche und Gläser zu holen, und ich hatte ein paar Sekunden Zeit, seine gute Stube in Augenschein zu nehmen. Keine Tapete an den Wänden, nur eine unansehnlich grau gewordene Binderfarbe. Über einem durchgesessenen Biedermeiersofa eine düstere Moorlandschaft, Worpswede wahrscheinlich. Vor der linken Wand ein dunkel gebeiztes Bücherregal: Börne, Machiavelli, Friedell, Spengler, Sartre, Ortega Y Gasset, Szczesny, Nietzsche – aber auch Baudelaire, Benn, Ezra Pound; daneben pharmakologische und pharmazeutische Fachzeitschriften und ein schöner alter Mörser aus Messing mit fein ziseliertem Stößel. Ein abgetretener Täbris, vergilbte Brokatvorhänge, eine schwere Stehlampe mit einem Schirm aus dunkelroter Seide – das waren meine letzten Eindrücke, ehe Walter Nedomanski mit einer geschliffenen Karaffe ins Zimmer zurückkam.
    „Entschuldigen Sie die kleine Verzögerung“, sagte er, während er zwei Gläser auf das wacklige Schachtischchen setzte, das zwischen uns stand. „Einem Junggesellenhaushalt mangelt es verständlicherweise am Perfektionismus.“ Er ließ sich schwerfällig auf dem nahen Sofa nieder und begann mit einem karierten Taschentuch seine dickglasige Nickelbrille zu putzen.
    Ich erschrak, wie man immer erschrickt, wenn man Brillenträger plötzlich ohne Brille sieht. Ein grobes, ein häßliches Gesicht; nicht faszinierend, eher komisch. Routinemäßig begann ich mein Gehirn mit Notizen zu füttern: Kopf im Verhältnis zum Rumpf viel zu groß. Ausgeprägter, kräftiger Unterkiefer, kantige Stirn, breiter Mund mit hauerartigen Vorderzähnen, klobige Nase, zu große Ohren. Ein typisches Pferdegesicht.
    Walter Nedomanski musterte mich. „Ich weiß wohl, was Sie denken. Das denken alle. In der Schule war ich immer der Kleine Muck für sie. Darf ich noch hinzufügen, daß ich verwachsen bin, daß ich einen Buckel habe, daß meine linke Hand ein wenig schlaff herunterhängt und daß mein rechter Fuß ein wenig verklumpt ist… Haben Sie alles? Prost!“
    Verlegen starrte ich in mein Glas, nahm es schließlich und stürzte den Magenbitter in einem Zug hinunter. Er schmeckte nach Lebertran. Ich mußte irgend etwas Tröstliches, irgend etwas Sanftes sagen. Mir fiel nichts ein.
    Walter Nedomanski lächelte. „Nehmen Sie Herder: Was die Schickung schickt, ertrage; wer ausharret, wird gekrönt. – Oder Max Dauthendey: Das Schicksal weiß immer das Beste für uns… In fünfzig Jahren merkt man sich so einiges.“
    Mich fröstelte.
    „Pardon!“ Er klopfte sich etwas Kalkstaub vom Ärmel seines schwarzen Anzugs. „Ich darf Sie auch um Verzeihung bitten für mein gestriges Angebot. Ich wollte Sie nicht bestechen; ich wollte nur verhindern, daß noch mehr Schmutz aufgewirbelt wird… Vergessen Sie also meine gestrigen Worte – ich stehe Ihnen nun zu jeder Auskunft zur Verfügung.“
    „Danke sehr…“ Ich zog meinen Notizblock aus der Jackentasche. Dabei griff ich versehentlich auch einen leeren Briefumschlag, der nun wie eine Papiertaube Nedomanski vor die Füße segelte.
    „Oh!“ Er hob ihn auf und entdeckte über meiner Adresse eine bunte Marke, Zinngeschirr wohl auf einer farbenfrohen Unterlage. „Deutsche

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