Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
ohne Mühe auf den hell erleuchteten Gang hinaus. Die zierlichen Regalbretter links und rechts von dem blind gewordenen Spiegel sind ein wenig zerkratzt; sonst können sie keinerlei Schäden entdecken. Nedomanski überlegt, ob das gute Stück – aufgearbeitet natürlich – in eines seiner Zimmer paßt, Jugendstil ist wieder ,in’, und die Wilhelminik kommt als Nächstes dran.
„Was ist denn das hier?“ sagt Dreyer.
An der Rückwand des Vertikos ist mit Hilfe von vier erst eingeschlagenen und dann umgebogenen Nägeln ein fast quadratischer Holzrahmen befestigt. Der Rahmen ist mit graubräunlicher Leinwand bespannt.
„Ein Gemälde!“ ruft Nedomanski.
Dreyer löst die Nägel aus dem weichen Holz. Dann bläst er den Staub von der Leinwand. Ein Mädchenkopf wird sichtbar.
Nedomanski stutzt, schaut näher hin, nimmt das Bild und trägt es unter die helle Lampe im Kellervorraum. „Das ist doch – “ er zieht sein Taschentuch aus der Tasche, wedelt eine weitere Staubschicht weg – „van Gogh!“
Sein Herz schlägt schneller. Schierbaums Sammlung! Sollte er kurz vor seiner Verhaftung in aller Eile versucht haben, wenigstens dieses Bild in Sicherheit zu bringen?
Sorgfältig entfernt er den restlichen Staub, soweit das möglich ist. Er betrachtet das Bild, hält es dicht vor die Augen, prüft Farbstruktur, den Pinselstrich. Er ist kein Fachmann, aber…
„Was ist denn nun? Ist das Ding was wert?“
„Schnauze!“ Aber ein bißchen kennt er sich aus; er ist schon lange mit Schumann befreundet. Nein – wahrscheinlich ist das eine Fälschung. Eine Kopie, eine Variante… Warum hat aber Schierbaum das Bild versteckt? Dafür gibt es nur eine Erklärung: Das Bild muß aus den Beständen von Otto Wacker stammen – und Schierbaum hat es 1927 bei Paul Cassirer in Berlin gekauft, wahrscheinlich mit einer Expertise von Meier-Graefe, Rosenhagen oder Bremmer, in der die unbedingte Echtheit des Bildes bestätigt wird. Nedomanski hat von Schumann viel über den Fall Otto Wacker gehört; er ist Schumanns Steckenpferd.
Dreyer starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an, denn eben hatte er die Signatur entziffert. „Der ist echt – was?“
Nedomanski sieht ihn an. Das einfältig-kindliche Gesicht Dreyers reizt ihn. Dreyer ist nicht ernst zu nehmen; man kann ihn ungestraft foppen und aufs Glatteis schicken, man kann seinen Spaß an ihm haben. Wie an einer Katze, der man eine Büchse an den Schwanz bindet, oder einem schwachsinnigen Spielgefährten, dem man vormacht, wie herrlich es ist, zwei blanke Drähte anzufassen – und dann, wenn er es tut, den Strom einschaltet.
„Der ist echt, so wahr ich was von Kunst verstehe!“ sagt Nedomanski und macht ein todernstes Gesicht dazu. Dann hat er noch einen Einfall: „Mensch, jetzt weiß ich auch… Ach so, da warst du ja noch nicht bei uns…“ Mal sagt er Sie zu Dreyer, mal duzt er ihn. „Da hat mal unser Speiseaufzug geklemmt. Wir die Klappen aufgemacht und nachgesehen. Und was soll ich dir sagen, die Ursache war ein dünner Aktendeckel – eine Expertise! Die muß Schierbaum da versteckt haben. Es ist schon ein Weilchen her – zehn Jahre bestimmt schon; aber wenn ich mich recht erinnere, hat sie sich auf dieses Bild hier bezogen… So was!“
Und Dreyer glaubt ihm, denn Nedomanski gilt allgemein als Kunstkenner, besitzt auch einige wertvolle Gemälde, besucht relativ oft Galerien und fördert sogar die eine oder andere und ist mit Schumann befreundet. Und da ist noch etwas. Dieses Bild hier sieht irgendwie anders, irgendwie echter aus als die van Gogh-Kopien von Dreyers Großvater. Dieses Bild entspricht in Handschrift und Aufbau haargenau dem, was man sich unter einem echten van Gogh vorstellt.
„Da ist nur noch eine Schwierigkeit“, sagt Nedomanski.
„Wieso?“
„Das Bild ist seine 500 000 Mark wert, wahrscheinlich noch weitaus mehr…“
„Mein Gott!“
„… und wenn es rauskommt, daß wir’s hier gefunden haben, werden wir Schierbaums Erben am Hals haben.“
„Hat er denn welche?“
„Keine Ahnung. Aber warum soll er keine haben? Und unter den… eh, besonderen Umständen… KZ und so…“
„Scheiße!“
„Ich werde mir schon etwas einfallen lassen – wir dürfen bloß nichts überstürzen. Zuerst einmal: Es darf niemand was davon erfahren – auch meine Frau nicht. Ist das klar?“
„Ja, natürlich.“
„Wenn alles glattgeht, bekommst du deinen Teil ab – keine Angst… Komm, es ist wohl das beste, wenn wir das Bild wieder hinten am
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