Von den Sternen gekuesst
sagt: »Auch wenn ich dir das niemals gewünscht hätte, ist mir deine Unsterblichkeit doch lieber als dein Tod.«
»Das glaube ich«, erwidere ich, schließe die Augen und atme langsam aus. Als ich sie wieder öffne, ist sein Gesicht direkt vor meinem. Er spielt mit meinen nassen Haaren. »Lass uns ein andermal darüber reden«, flüstere ich. »Wenn wir die nächsten Wochen überstehen, haben wir dafür ja lange genug Zeit.«
Er nickt. Dann kommt er näher, küsst meine Wangen, meine Stirn, meine Augen, meinen Mund.
»Mon Kate, qui était à moi, qui n’est plus à moi« , flüstert er zwischen den Küssen. Dann wiederholt er es auf Englisch. »Meine Kate, die einst mein war, ist nicht länger mein«, müde reibt er seine geröteten Augen, »denn jetzt gehörst du dem Schicksal.«
A ls wir Paris erreichen, wandelt sich das Zartrosa des Himmels in Apricot. Dünne rote Strahlen konkurrieren mit den hellen Lichtern der Stadt, die nach und nach in der Dämmerung angehen. Wie rote Laser leuchten sie in die Wolken und ich frage mich, ob gerade wieder eine Kirmes in den Tuilerien stattfindet.
Wir biegen in eine Kurve und dann erscheint die Seine vor uns. Wie immer beruhigt sich mein Herzschlag beim Anblick des Flusses. Ich sehe in ihm ein ganz eigenes Symbol für den regelmäßigen Lauf der Dinge in einer zeitlosen Stadt. Selig nehme ich Vincents Hand und schließe die Augen, bis wir vor La Maison halten.
Das elektrische Tor öffnet sich und ich erkenne drei Figuren, die am Rand des Marmorbrunnens sitzen. Sie stehen auf, als wir auf den Hof rollen, und ich springe aus dem Wagen in ihre Arme.
»Oh Katya«, flüstert Mamie, zieht mich an sich und drückt mich.
» Princesse «, sagt Papy und legt die Arme um uns beide.
»Geht es dir gut?«, fragt Mamie, prüfend blickt sie mir ins Gesicht.
»Ja, mir geht’s gut, Mamie. Ich habe bloß gerade gegen ein paar Numa gekämpft. Und immerhin gewonnen«, sage ich und versuche zu lächeln.
»Wir haben uns solche Sorgen gemacht, Kate«, wirft Papy ein und wirkt dabei, als würde ihm etwas im Hals stecken. Für ihn ungewöhnlich steif fügt er hinzu: »Alles, was zählt, ist die Tatsache, dass du jetzt wieder hier bist.« Das klingt einstudiert. So, als wolle er sich mit diesen Worten selbst überzeugen.
Ich sehe seine Verzweiflung. Er will mich, die alte Kate, umarmen und schreckt vor dem Gedanken zurück, dass er dazu die neue Kate berühren muss. Die untote Kate. Ich kann es ihm nicht verübeln. Hoffentlich werden wir uns beide mit der Zeit daran gewöhnen. Wenn uns denn Zeit bleibt , denke ich, weil mir unweigerlich wieder klar wird, dass wir in eine Schlacht ziehen und aller Ausgang ungewiss ist.
Georgia hält sich still im Hintergrund, bis meine Großeltern mich loslassen. Ihre Augen sind rot und geschwollen. Sie sieht aus, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen. »Kate«, flüstert sie. Nachdem ich schon den so traurigen Papy gesehen habe, bricht mir ihr Anblick geradezu das Herz.
»Du hast dich ja gar nicht verändert«, sagt sie und fährt mir zögernd mit den Fingern über die Wange. »Und du wirst dich nicht mehr verändern, während ich immer älter und schrumpeliger werde. Und irgendwann tot bin.« Sie lächelt betrübt. »Ich weiß gar nicht, warum ich weine. Eigentlich müsste ich mich freuen und jubeln.« Sie macht eine halbherzige Geste mit der Hand. »Schließlich bist du jetzt unsterblich, Herrgott noch mal!«
»Nicht, wenn es nach Violette geht«, erwidere ich.
Einen Moment lang mustert sie mich, dann blitzt etwas in ihren blassgrünen Augen auf. »Dann hat sie uns ganz offensichtlich noch nicht richtig kämpfen sehen«, sagt sie und ringt sich ein Lächeln ab. »Wir werden ihr schon die Hölle heißmachen.« Dann nimmt sie meine Hand und geht mit mir ins Haus.
Vincent folgt uns, läuft neben meinen Großeltern her. Jeanne wartet hinter der Eingangstür. Sie wischt sich die Tränen weg und umarmt mich schweigend. Dann zeigt sie zum Wohnzimmer. »Jean-Baptiste und Gaspard erwarten dich«, sagt sie. Mit einem Blick zu Vincent fügt sie hinzu: »Sie wollen dann gleich abreisen.«
Mamie und Papy verharren, wohl unsicher, ob auch sie willkommen sind, dabei erkenne ich deutlich, dass keiner der beiden von meiner Seite weichen will. »Kommt ruhig mit«, sage ich. Jean-Baptiste steht auf, als wir das Zimmer betreten, und es ist eigenartig zu sehen, dass er sich in seinem eigenen Haus wie ein Gast verhält.
Hallo, Kate , höre ich Gaspard.
»Hallo«,
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